Es war eine dramatische Inszenierung mit vielen Requisiten, ganz so, wie Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sie so oft und gern präsentiert. Und wie so oft in der Vergangenheit richtete sich Netanjahus geballte Wortgewalt auch diesmal wieder gegen den Atomvertrag mit dem Iran.

In einer ersten Reaktion wirft der Iran Netanjahu Lügen vor, lesen Sie hier mehr dazu.

Zwölf Tage bevor US-Präsident Donald Trump darüber entscheiden muss, ob die USA das Atomabkommen mit dem Iran annullieren und neue Sanktionen gegen Teheran verhängen, enthüllte Netanjahu einen der wohl erfolgreichsten Einsätze in der Geschichte seines Auslandsgeheimdiensts Mossad.

Dramatisch zog er einen schwarzen Vorhang von einem Aktenregal und einer Wand voller CDs und erklärte, der Mossad habe in vergangenen Wochen rund eine halbe Tonne hochgeheimen Materials aus dem Atomarchiv des Irans in einem unscheinbaren Lagerhaus im Stadtteil Schorabad im Süden Teherans entwendet – insgesamt 55.000 Dokumente und 183 CDs mit mehr als 55.000 Dateien. Diese bewiesen eines: dass der Iran die Atomenergiebehörde IAEO und die gesamte Welt angelogen und insgeheim an einer Atombombe gebastelt hat.

Was fehlt, sind klare neue Beweise

Der Premier betonte, er präsentiere „nur einen Bruchteil der originalen Dokumente“, die sich nun angeblich in Israels Besitz befinden. Diese zeigten, wie iranische Behörden gezielt die organisatorische Infrastruktur für den Bau einer Atombombe einrichteten; Atombombenentwürfe ausarbeiteten; mögliche Standorte für Atomwaffentests erkundeten; und wie sie atomare Sprengköpfe für Raketen entwarfen. Schlüssig zeigte der Premier, dass die Iraner die IAEO anlogen als sie behaupteten, im Iran habe es zu keinem Zeitpunkt ein Atomwaffenprogramm gegeben.

Und er demonstrierte auch, dass der Leiter des iranischen Atomprojekts „Amad“ heute in einer neuen Organisation mit anderem Namen arbeitet, wohl weiterhin in derselben Funktion. Doch das, was Netanjahus Pressekonferenz letztlich in ein diplomatisches Instrument hätte verwandelt können, um den Atomvertrag eindeutig zu untergraben, fehlte in der rhetorisch beeindruckenden Präsentation des Premiers: Ein klarer, neuer Beweis dafür, dass der Iran auch heute den Atomvertrag verletzt.

„Die Informationen, die Netanjahu veröffentlichte, waren per se nicht neu“, sagt auch Emily Landau, Leiterin des Programms für Rüstungskontrolle am Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv, zur Kleinen Zeitung. Schon 2015 berichtete die IAEO über die militärische Dimension des iranischen Atomprogramms. Der Bericht verfolgte Irans Atomprogramm bis 2009. Das Material, das Netanjahu präsentierte, warf aber auch kein Licht auf die Zeit danach, sondern nur auf die Jahre davor. Mit anderen Worten: Alles, was Netanjahu präsentierte, dürfte westlichen Geheimdiensten und Staatschefs längst bekannt sein, wenn auch nicht in dem Detail, in dem Israels Geheimdienste angesichts ihres Fundes nun Bescheid wissen.

Dasselbe gilt für die Warnungen Netanjahus über Irans Raketenprogramm. Es braucht keine hochgeheimen Dokumente, um dessen Stoßrichtung zu verstehen. Einfache Logik genügt um zu begreifen, dass Raketen mit 500 kg Nutzlast und einer Reichweite von über 1000 Kilometer militärisch sinnlos sind, wenn sie nur mit konventionellen Sprengköpfen bestückt sind. Das ist auch genau der Grund, weshalb trotz Wiener Atomabkommens von 2015 weiterhin Sanktionen gegen Iran in Kraft sind, solange Teheran an seinem Raketenprogramm festhält.

Sein wichtigstes Ziel dürfte Netanjahu mit seiner Präsentation deshalb wohl verfehlt haben: Altbekannte geheimdienstliche Erkenntnisse werden die Anhänger des Atomabkommens in Europa wohl kaum überzeugen, Trump zuzustimmen, falls der in zwei Wochen den Deal mit Teheran annulliert. In Europa kennt man längst Netanjahus Argument, der Atomvertrag mache dem Iran den Weg zur Anreicherung von Uran frei.

Hier hält man dagegen, dass der Iran zumindest in den kommenden zehn Jahren über keine bedeutenden Mengen angereicherten Urans verfügen wird – ganz im Gegensatz also zur heiklen Situation vor Unterschrift des Abkommen, als noch Tonnen angereicherten Uran im Iran lagerten.

Israels Geheimdienst überrascht immer noch

Nur eines machte Netanjahus Pressekonferenz deshalb auf dramatische Weise deutlich: Dass Israels Geheimdienst weiterhin zu überraschenden Aktionen fähig ist, und tiefen Einblick in die geheimsten Vorgänge des iranischen Regimes hat. Selbst wenn der Mossad zwar nicht den erwünschten unwiderlegbaren Beweis dafür lieferte, dass der Iran heute dem Atomvertrag verletzt, so gelang seinen Agenten doch gleich ein doppelter strategischer Coup: Sie enttarnten die Charme-Offensive des iranischen Regimes als Lügenkampagne. Das dürfte Netanjahu in Zukunft durchaus hilfreich sein. Und sie dürften viele Mullahs in der Islamischen Republik zutiefst verunsichert haben. Denn wer ahnt schon, welchen Fund aus dem Iran sie Netanjahu für seine nächste dramatische Pressekonferenz bringen werden?