Russland habe unter Wladimir Putin die Chance vertan, einen zeitgemäßen Staat zu errichten und das Land dabei in einen Mafiastaat verwandelt. Dies erklärten am Mittwoch die Oppositionspolitiker Ilja Jaschin und Wladimir Milow bei der Präsentation ihrer Studie über die Putin-Jahre in Moskau. Die gedruckte Auflage der Studie war am Sonntag von Sicherheitsbehörden beschlagnahmt worden.

Der Anfang des 21. Jahrhunderts habe Russland die einzigartige Möglichkeit gegeben, ein zeitgemäßes, konkurrenzfähiges Wirtschaftssystem aufzubauen und ein politisches System zu errichten, das den Interessen der Bürger des Landes entspräche, schreiben die Studienautoren. Mit Einnahmen von 3,5 Billionen Dollar, die durch den Verkauf von Rohstoffen ins Land geflossen seien, hätten Russlands Regierende Reformen nach Belieben umsetzen können, heißt es in der Studie, die eine von Boris Nemzow begründete Tradition kritischer Analysen des Putin-Regimes fortsetzt. Jaschin, der nach Lokalwahlen 2017 zum Vorsteher des Moskauer Krasnosselski-Bezirks avancierte, und der ehemalige Vizeenergieminister Milow galten als enge Mitstreiter des 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Nemzow.

Putin habe zwar oftmals versprochen, die Abhängigkeit seines Landes von Öl- und Gasverkäufen zu reduzieren, de facto habe jedoch die Bedeutung dieser Rohstoffe zugenommen und sich das Vermögen von Oligarchen sowie Vertretern von Sicherheitsorganen aus seinem Freundeskreis vermehrt, kritisieren Jaschin und Milow.

Der russische Präsident überzeuge zwar die Öffentlichkeit, dass er eine Supermacht wieder auferstehen habe lassen. "In der Praxis hat er jedoch einen Mafiastaat geschaffen, der die kriminelle Elite des Landes versorgt, die Bevölkerungsmehrheit jedoch erniedrigt und den Russen keine Hoffnung auf eine normale Zukunft lässt", heißt es.

Die Studienautoren gehen aber auch davon aus, dass sich die internationale Isolation Russland weiter verschärfen werde. Putin habe als einziger Staatschef ein Motiv, den russisch-britischen Spion Sergej Skripal töten zu lassen, erklärte Wladimir Milow in diesem Zusammenhang.

"Russlands Mächtige fürchten derzeit nichts mehr als neue Überläufer", sagte er und verwies auf viele unzufriedene Vertreter der regierenden Elite und der Geheimdienste.

Bei der Präsentation illustrierten Jaschin und Milow den politischen Wandel in ihrer Heimat aber auch mit aktuellen Schwierigkeiten bei der Verbreitung ihrer Broschüre. Während vor den russischen Präsidentschaftswahlen 2008 die erste diesbezügliche Studie Nemzows offen im Zentrum Moskaus verkauft und verteilt worden sei, hätten nunmehr praktisch alle Druckereien eine Vervielfältigung des aktuellen Werks verweigert, erzählte Milow. Obwohl es nicht verboten sei, den Präsidenten zu kritisieren, würden Strafverfolgungsbehörden alles unternehmen, um die Verbreitung von unabhängiger Information zu verhindern, sagte Jaschin und sprach von einer "absolut illegalen Beschlagnahmung" der Broschüren durch Vertreter des Geheimdiensts FSB und der Extremismusabteilung der Polizei.