Auch wenn noch nicht alle Details bekannt sind, allein die Ankündigung einer gewaltigen Welle von Strafen gegen US-Diplomaten in Moskau ist ein neuer Markstein in den bilateralen Beziehungen. Was sind die Hintergründe?
Wen treffen die neuen russischen Strafmaßnahmen?
"755 US-Diplomaten müssen Russland verlassen" - so zitierten russische und internationale Medien am Sonntag Präsident Wladimir Putin. Doch so hatte es der Kremlchef nicht gesagt; und auch der ehemalige US-Botschafter in Moskau, Michael McFaul, schrieb rasch auf Twitter: "Es gibt keine 755 amerikanischen Diplomaten in Russland." Putin hatte gesagt, dass 755 Mitarbeiter der US-Vertretungen in Russland bis September ihre Tätigkeit einstellen müssen. Von 1.200 Mitarbeitern sind aber nur 300 akkreditierte Diplomaten. Drei Viertel sind russische Angestellte, Hilfskräfte im Konsulardienst, von denen viele ihre Arbeit verlieren dürften.
Wie kalkuliert Putin bei diesen Sanktionen?
In Russland wächst seit Monaten die Enttäuschung darüber, dass die Verbesserung der Beziehungen zu den USA ausbleibt, die man sich von Präsident Donald Trump versprochen hatte. Die Russland-Politik der USA folgt eher der traditionell harten republikanischen Linie, an Trump läuft sie vorbei. Putin fühlte sich zu einem harten, aufsehenerregenden Schritt genötigt.
"Für Moskau ist Trump nun ein schwacher Präsident, der keine Deals mit Putin liefern kann", schrieb der Experte Wladimir Frolow in der "Moscow Times". Doch ganz gebe Putin die Hoffnung auf Trump nicht auf. So dramatisch die Schritte gegen die Diplomaten klängen, sie seien auch schnell und ohne große Verluste wieder rücknehmbar.
Auch Alexander Baunow vom Moskauer Carnegie-Zentrum sah ein verstecktes Zeichen an Trump. Die Ankündigung sei gekommen, nachdem der US-Kongress Sanktionen gegen Russland verschärft habe, aber noch vor einer Unterschrift Trumps. "Putin gibt zu verstehen, dass er das Amerika des Kongresses bestraft, nicht das Amerika Trumps", schrieb er auf Facebook.
Wie reagiert die US-Regierung?
Zunächst sehr zurückhaltend. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte, man sehe sich Russlands Ankündigung an und prüfe, wie man darauf reagiere. Vizepräsident Mike Pence erklärte bei einem Besuch in Estland, die Regierung hoffe auf eine bessere Zusammenarbeit mit Moskau. Man wolle den Kreml aber zugleich für seine Rolle im Ukraine-Konflikt und anderswo zur Verantwortung ziehen: Das zeigten die geplanten Sanktionen. Man werde sich trotz der diplomatischen Maßnahme Moskaus nicht davon abhalten lassen, die eigene Sicherheit und die der Verbündeten sicherzustellen. Möglich ist, dass die Regierung in Washington in den kommenden Tagen ebenfalls Vergeltungsmaßnahmen ergreift. Möglich ist aber auch, dass sie es bei den Sanktionen belässt.
Sind die bilateralen Beziehungen nun auf einem historischen Tiefpunkt angekommen?
Das lässt sich so noch nicht sagen, dafür ist zu viel im Fluss. Die Vergeltung aus Moskau ist eine öffentliche Abstrafung. Dass der Kreml zu solch drastischen Mitteln greift, erinnert an den Kalten Krieg - und der ist lange her.
Schon in den vergangenen Monaten verschärfte sich der Tonfall zwischen beiden Regierungen immer wieder. Als Trump einen Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee angriff, kritisierte Moskau das scharf. Washington prangerte dagegen die Unterstützung des Kremls für die Regierung von Bashar al-Assad an. Aber trotz des öffentlichen Säbelrasselns verhandelten beide Seiten heimlich in Jordanien über einen Deeskalationsplan für das Bürgerkriegsland. Am Ende einigten sie sich auf eine Waffenruhe im Südwesten Syriens. Putin hat am Sonntag deutlich gemacht, dass er trotz der Differenzen nach wie vor Möglichkeiten der Zusammenarbeit sieht - etwa in Syrien.
Welche Strategie verfolgt Trumps Regierung in Bezug auf den Kreml?
Eine kohärente Russland-Strategie gibt es derzeit nicht, dafür gibt es zu viele Ziele, dafür sind auch zu viele Akteure am Werk. In den vergangenen Wochen versuchte Washington es mit einem doppelten Ansatz. Einerseits ist die Regierung darum bemüht, in Syrien Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszutesten. Andererseits will sie dem Kreml wegen der Rolle im Ukraine-Konflikt klare Kante zeigen.
Mit der fast einhelligen Entscheidung zu den Sanktionen setzte der Kongress den Präsidenten unter Druck. Nach den Abstimmungen war lange nicht klar, ob Trump das Gesetz wirklich unterzeichnen würde. Der Präsident steht vor dem Dilemma, dass er kaum eine neutrale Haltung gegenüber Putin entwickeln kann, ohne sofort den Eindruck zu erwecken, er erweise dem Kreml-Chef Gefälligkeiten. Dafür ist die Russland-Affäre zu allgegenwärtig.