Begleitet von mehreren Todesfällen hat Venezuela erste Schritte für eine umstrittene Verfassungsreform eingeleitet. 19,4 Millionen Menschen waren für Sonntag zur Wahl der 545 Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung aufgerufen. Es wurde damit gerechnet, dass es in dem Gremium eine klare Mehrheit mit Anhängern der Sozialisten von Staatspräsident Nicolas Maduro geben wird.
Die Opposition boykottierte die Wahl und warnte vor einer Diktatur. Ein Kandidat des Regierungslagers wurde kurz vor der Wahl erschossen, zudem wurde ein 19-Jähriger Demonstrant im Bundesstaat Mérida getötet. Die Lage war angespannt, Panzerwagen patrouillierten, 232.000 Soldaten sollten die Wahl im Land mit den weltweit größten Ölreserven sichern. Als einer der ersten gab Maduro seine Stimme ab: "Das ist ein historischer Tag", sagte er. Es gehe um eine "ruhige Zukunft".
Es gab starke Einschränkungen für die Presse. Rund 5500 Kandidaten bewarben sich - durch den Ausschluss von Parteipolitikern und einen Fokus auf Mitglieder aus Sektoren, die den Sozialisten nahestehen, stieß die Wahl im Ausland auf massive Kritik. Ergebnisse sollen Montag früh (MESZ) vorliegen. Bereits in den kommenden Tagen soll die Versammlung ihre Arbeit aufnehmen - und zwar im Gebäude des Parlaments, in dem die Opposition die Mehrheit hat. Es gibt Hinweise, dass diese Verfassungsversammlung das Parlament ersetzen könnte.
Dann wäre die Gewaltenteilung de facto aufgehoben und die Sozialisten hätten wieder die alleinige Macht. Trotz eines Demonstrationsverbots rief das aus rund 20 Parteien bestehende Bündnis "Mesa de la Unidad Democratica" zu neuen Massenprotesten gegen Maduro auf: "Gegen Diktatur und Verfassungsbetrug", gab einer der Wortführer, der 2013 Maduro knapp unterlegene Henrique Capriles, als Motto aus. Es gab Berichte über Angriffe auf Wahllokale und verbrannte Wahlzettel. Aber viele Bürger fürchteten trotz des Aufrufs die Androhung von bis zu zehn Jahren Gefängnis bei einer Missachtung des Demoverbots.
Maduro will das Parlament entmachten
Wiederholt hatte Maduro deutlich gemacht, dass ihm das seit Anfang 2016 von der Opposition dominierte Parlament ein Dorn im Auge ist. Gewählt werden sollten 364 kommunale Vertreter, dazu acht indigene Vertreter und 173 Mitglieder aus Sektoren, die vorwiegend den Sozialisten nahestehen: Arbeiter, Studenten, Rentner, Bauern.
Vizepräsident Tareck El Aissami sprach von einer "massiven Beteiligung", Mitte Juli hatten sich in einer Befragung 7,5 Millionen gegen die Verfassungsreform ausgesprochen. 80 Prozent sind demnach mit Maduros Amtsführung unzufrieden. Auf Hunderttausende Arbeiter in staatlichen Unternehmen wurde nach Medienberichten mit Textnachrichten und Anrufen Druck ausgeübt, an der Wahl teilzunehmen.
Die USA drohen mit Wirtschaftssanktionen. Auch die EU will das Votum nicht anerkennen. Bei den seit April andauernden Protesten starben bisher 114 Menschen. Neben der politischen Krise wird das Landvon einer Versorgungskrise erschüttert.
Lebensmittel fehlen und es mangelt an Medikamenten. "Verzweifelte Eltern versuchen, ihre Kinder bei Hilfsorganisationen unterzubringen, damit sie dort wenigstens etwas zu essen bekommen", berichtete der Direktor der SOS-Kinderdörfer in Venezuela, José Luis Benavides. Iberia und Air France setzten die Flüge für die nächsten Tage aus, zuvor hatten bereits zehn Gesellschaften die Flüge eingestellt.
Der venezolanische Kardinal Jorge Urosa Savino bekräftigte seine Kritik. Die von Maduro angeordnete Versammlung sei wertlos und illegal, weil sie nicht vom venezolanischen Volk einberufen worden sei, sagte der Erzbischof von Caracas der Tageszeitung "El Universal".
Zudem helfe sie nicht, die drängenden Probleme des Landes zu lösen, sondern verschärfe die Konflikte. Urosa rief Regierung und Opposition erneut zu einem Dialog auf: Das Land wolle einen Regierungswechsel. Dies müsse auf friedlichem Wege erreicht werden.
Auch der weltweite Generalobere der Jesuiten und gebürtige Venezolaner Pater Arturo Sosa wandte sich mit einem deutlichen Appell für eine gewaltfreie Lösung der Krise an die Öffentlichkeit. "Schluss mit der Gewalt! Es ist nötig, durch eine ehrliche und wahrhaftige Vermittlung zu einem Programm der nationalen Einigung zu finden, damit man wirklich prioritär die Probleme angeht, wegen denen Millionen von Venezolanern heute leiden", betonte Sosa am Wochenende in seinem über den Papstsender "Radio Vatikan" lancierten Appell.
Kolumbien will über 150.000 aus Venezuela geflüchteten Menschen einen Sonderaufenthaltsstatus gewähren. Der Direktor der Migrationsbehörde, Christian Krüger, teilte mit, dass sie damit bis zu zwei Jahre in dem Land bleiben dürfen. Krüger betonte aber, dass er Berichte über einen "massiven Exodus" wegen der Wahl bislang nicht bestätigen könne.