Die EU-Kommission macht Ernst. Sie hat wegen der polnischen Justizreform wie angekündigt ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Sie habe der Regierung in Warschau einen Monat Zeit gegeben, darauf zu reagieren, teilte die Kommission am Samstag mit. Die nationalkonservative Regierung in Polen zeigte sich empört.
Außenminister Witold Waszczykowski erklärte am Samstag gegenüber dem Portal www.wPolityce.pl: "Das wird einige Monate für böse Emotionen und eine negative Atmosphäre in den beiderseitigen Beziehungen sorgen". Der Politiker der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sagte, seiner Einschätzung nach würden letztlich aber die "führenden europäischen Politiker zur Vernunft kommen und Nachsicht walten lassen". Das Verfahren könne sich ansonsten auch über Jahre hinziehen.
Der polnische Europaminister Konrad Szymanski meinte, die Entscheidung der EU-Kommission sei ungerechtfertigt. Die Organisation des Rechtssystems eines EU-Landes liege in seiner eigenen Verantwortung und sei nicht Angelegenheit der EU-Institutionen.
Seitens der EU hieß es, die Entscheidung für das Verfahren sei auf einem Treffen der Kommission am Mittwoch gefallen. Anlass seien Befürchtungen, dass mit der Reform die Unabhängigkeit der Justiz in Polen untergraben werde. Die EU-Kommission hatte die Maßnahme bereits angekündigt und das Verfahren nach der Veröffentlichung eines der Reformgesetze im polnischen Gesetzblatt am Freitag nun eröffnet. Das Gesetz ermöglicht es dem polnischen Justizminister, leitende Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte zu ernennen oder zu entlassen.
Die Kommission warnte davor, dass durch das neue Gesetz die "Unabhängigkeit der polnischen Gerichte untergraben wird". Zudem äußerte sich die Kommission besorgt darüber, dass nun ein unterschiedliches Pensionsalter für Richterinnen und Richter gilt. Dies sei eine "Diskriminierung aufgrund des Geschlechts".
Die Kommission liegt seit Anfang 2016 mit Warschau im Clinch, als die nationalkonservative Regierung nach Ansicht Brüssels die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Damals leitete die EU-Kommission ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen ein - erstmals überhaupt in der EU-Geschichte.
Alle Versuche, daraufhin im Dialog oder mit Empfehlungen zum Ziel zu kommen, scheiterten. Die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hält nämlich auch nach dem Veto von Präsident Andrzej Duda und der harten Kritik der EU an ihren Plänen zur Justizreform fest. Zunächst sollen aber die Vorschläge abgewartet werden, die Duda angekündigt hatte. Parteichef Jaroslaw Kaczynski sagte kürzlich, das Veto des Präsidenten bei zwei von drei Reformgesetzen sei ein "sehr ernsthafter Fehler". Nun gehe es darum, das weitere Vorgehen zu planen. "Das bedeutet, dass es eine Reform geben wird, eine radikale Reform. Eine teilweise Reform wird nichts ändern", sagte Kaczynski.
Der an sich von der nationalkonservativen PiS unterstützte Duda will in den nächsten zwei Monaten alternative Vorschläge zu den beiden Gesetzen vorlegen, gegen die er am Montag sein Veto eingelegt hatte. Dabei geht es um ein Gesetz, mit dem alle Richter am Obersten Gericht in den Ruhestand geschickt würden. Davon ausgenommen wären nur diejenigen, die der Justizminister persönlich auswählt. Ein zweites Gesetz würde die Abgeordneten ermächtigen, die meisten Mitglieder des Landesjustizrates zu bestimmen. Dieses Gremium schlägt in Polen Richter vor. Das dritte Gesetz hatte Duda unterzeichnet.
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, erneuerte am Freitag seine Einladung an Außenminister Waszczykowski und Justizminister Zbigniew Ziobro zu Gesprächen über die Justizreform in Brüssel. "Die Hand der Kommission zu den polnischen Behörden bleibt ausgestreckt - in der Hoffnung auf einen konstruktiven Dialog", hieß es laut EU-Kommission in einem Brief. Warschau hat bisher nicht geantwortet.
Österreichs Botschafter in Polen, Thomas Buchsbaum, war am Freitag im Zusammenhang mit einem Interview von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) in das polnische Außenministerium in Warschau zitiert worden. Kern hatte Polen und Ungarn mit einer Kürzung von EU-Mitteln gedroht, wenn sie sich weigerten, europäische Grundsätze einzuhalten.
Kritik gab es laut der Nachrichtenagentur PAP vor allem an der Aussage Kerns in dem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ), "das nächste Budget" werde "der D-Day" sein. Zudem wurde bei dem Gespräch in Warschau Unmut über die Forderung des Bundeskanzlers geäußert, Nettotransfers innerhalb der EU als Hebel einzusetzen, um Länder wie Polen zu zwingen, sich "in eine gemeinsame europäische Politik" einzufügen.
Von polnischer Seite hieß es dem PAP-Bericht zufolge, dass die Frage der "Zwangsumsiedlungen" von Flüchtlingen "in keiner Weise im Zusammenhang mit dem Thema der EU-Strukturfonds" stünde. Kern hatte gegenüber der "FAZ" (Donnerstagsausgabe) unter anderem erklärt: "Wer sich nicht an die Regeln hält, der kann nicht Nettoempfänger von 14 oder 6 Mrd. Euro sein".