In Europa wächst die Sorge um den Bestand von Demokratie und Rechtsstaat in Polen. Europäische Politiker und Institutionen forderten die Regierung in Warschau am Dienstag eindringlich zum Verzicht auf mehrere Gesetzesvorhaben auf, welche die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen. Europarats-Präsident Thorbjörn Jagland forderte von Polen Respekt für die europäischen Justiznormen.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kritisierte eine Missachtung der Rechtsstaatlichkeit. Die Appelle an Warschau waren von einer gewissen Dringlichkeit geprägt, da die dortige Regierung ihre umstrittene Reform des Obersten Gerichts in den kommenden Tagen im Eilverfahren durch das Parlament bringen könnte. Es würde das Gericht de facto dem von der rechtskonservativen Regierungspartei PiS gestellten Justizminister unterstellen.
Jagland erinnerte daran, dass Polen als Mitglied des Europarats dessen Prinzipien folgen müsse. "Eine effiziente, unparteiische und unabhängige Justiz ist das Fundament jedes Systems demokratischer Kontrolle", erklärte Jagland. In einem Brief an den polnischen Parlamentspräsidenten Marek Kuchcinski forderte er, den Gesetzentwurf zum Obersten Gericht abzuweisen.
Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, bezeichnete den Entwurf als weiteren Beleg "für eine beunruhigende Tendenz hin zum Autoritarismus" in Polen. "Das Vorhaben der polnischen Regierung zielt darauf ab, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen."
Die rechtsnationale PiS hatte am Donnerstag einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, mit dem Richter des Obersten Gerichtshofs durch den Justizminister in den Ruhestand gezwungen werden können. Für die Auswahl neuer Richter wäre ebenfalls der Justizminister zuständig. Die PiS hat bereits mehrere andere Gesetze verabschieden lassen, mit denen sie den Einfluss der Politik auf die Justiz erhöht.
Auch die Venedig-Kommission, ein hoch angesehenes Expertengremium des Europarats zur Rechtsstaatlichkeit, äußerte am Dienstag ihre Beunruhigung. "Jedes Gesetz, das die Amtszeit von Richtern willkürlich beendet, muss als gravierende Verletzung des europäischen Verfassungserbes betrachtet werden", erklärte der Vorsitzende Gianni Buquicchio.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn übte ebenfalls scharfe Kritik. "Die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte werden von dieser Regierung missachtet", sagte Asselborn im ZDF-"Morgenmagazin". "Wenn Polen heute in die EU kommen wollte, würde man ihnen sagen, sie erfüllen nicht Kriterien".
Die EU-Kommission will trotz wachsender Beunruhigung am Mittwoch noch keine Entscheidung zu den umstrittenen Plänen der polnischen Regierung fällen. Es gehe bei der wöchentlichen Sitzung der Kommissare um eine "erste Diskussion", sagte ein Sprecher am Dienstag. "Es ist morgen nicht der Zeitpunkt für Entscheidungen." Er verwies darauf, dass es sich bisher noch um Gesetzesvorhaben handle.
Die Vorsitzenden von fünf großen Fraktionen im Europaparlament hatten die EU zum Widerstand gegen die Maßnahmen der rechten polnischen Regierung im Justizbereich aufgefordert. "Wenn das Überleben von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel steht, müssen die Institutionen der EU Stellung beziehen und handeln", schrieben sie am Montag in einem Brief an den Parlamentspräsidenten Antonio Tajani.