"Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen", sagte Erdogan am Samstagabend auf einer Kundgebung vor zehntausenden Anhängern in Istanbul.

Der Präsident erneuerte sein Plädoyer für eine Wiedereinführung der Todesstrafe. Sollte das Parlament eine derartige Vorlage verabschieden, werde er sie unterzeichnen, sagte er unter dem Jubel seiner Anhänger.

Erdogan äußerte sich in seiner Rede voller Abscheu über die Putschisten. Die inhaftierten Drahtzieher sollten "Uniformen wie in Guantanamo" tragen, schlug er vor. Damit spielte er auf das umstrittene US-Gefangenenlager an, in dem Terrorverdächtige festgehalten wurden und werden.

Landesweite Gedenkfeiern

Ein Jahr nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei hat die Staatsführung mit landesweiten Gedenkfeiern die Einheit des Landes beschworen. Das Parlament in Ankara kam am Samstag zu einer Sondersitzung zusammen, bei der die "Märtyrer und Helden" der Putschnacht vom 15. Juli 2016 gewürdigt wurden.

Seit dem gescheiterten Staatsstreich geht die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan mit großer Härte gegen Gegner vor; noch am Vortag wurden erneut tausende Staatsbedienstete entlassen.

"Es ist ein Jahr her, dass aus der dunkelsten Nacht die Nacht der Helden wurde", sagte Regierungschef Binali Yildirim bei seiner Ansprache vor den Abgeordneten in Ankara. Er bezeichnete die Putschnacht als einen siegreichen "zweiten Unabhängigkeitskrieg" und bezog sich damit auf den Krieg nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs, aus dem 1923 unter Führung von Mustafa Kemal Atatürk die Türkische Republik hervorgegangen war.

Zu seinen Zuhörern im Parlament gehörte auch Staatspräsident Erdogan, den eine Gruppe von Militärs im vergangenen Jahr zu stürzen versucht hatte. Er saß während der Ansprachen mit versteinertem Blick auf einem Platz in den Rängen.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf der Regierung "Behinderungen" bei der Aufarbeitung der Putschnacht vor. "Über das vergangene Jahr hinweg haben sich alle Rechtsabläufe immer weiter vom gesetzlichen Rahmen entfernt. Die Justiz wurde zerstört", sagte Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, bei der Sondersitzung des Parlaments. "Statt einer schnellen Normalisierung haben sie einen bleibenden Ausnahmezustand erschaffen."

50.000 Menschen inhaftiert

Im Zuge der Notverordnungen griff die Regierung mit aller Härte gegen ihre Kritiker und politischen Gegner durch. Mehr als 50.000 Menschen wurden seit der Putschnacht in der Türkei inhaftiert, mehr als 100.000 Staatsbedienstete entlassen oder vom Dienst suspendiert. Betroffen sind neben tausenden Militärs, Polizisten, Staatsanwälten und Richtern auch kurdische Oppositionelle, kritische Journalisten und unabhängige Wissenschafter.

Für eine vollständige Aufarbeitung des Putsches müssten diejenigen, die die Putschisten und Unterstützer "an den empfindlichsten Stellen des Staates" platziert hätten, zur Rechenschaft gezogen werden, forderte der CHP-Chef weiter mit Blick auf die Regierung.

Der stellvertretende Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Ahmet Yildirim, kritisierte unter anderem die Massenentlassungen und Inhaftierungen von HDP-Abgeordneten und warf der Regierung vor, einen "zweiten Putsch" durchgeführt zu haben.

Die türkische Führung macht die Bewegung um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 verantwortlich. Dieser bestreitet das. Bis zum offenen Bruch 2013 waren Staatspräsident Erdogan und Gülen lange Weggefährten.

Die Vorwürfe Kilicdaroglus gegen die Regierung fielen vergleichsweise milde aus, da Opposition und Regierung für den Gedenktag einen Burgfrieden geschlossen hatten. Erdogan will in der Nacht (22.30 Uhr MESZ) an einer Bosporus-Brücke in Istanbul ein Denkmal für die 249 Opfer des Putschversuchs enthüllen.

Martialische Plakate mit Szenen aus der Putschnacht riefen die Türken dazu auf, kurz nach Mitternacht zu "Demokratiewachen" auf den Straße zusammenzukommen. Anschließend will Erdogan selbst im Parlament reden; die Rede soll um 01.32 Uhr MESZ beginnen - exakt zu jenem Zeitpunkt, zu dem vor einem Jahr das Parlament von den Putschisten bombardiert wurde.

Die CHP kritisierte, dass in der nächtlichen Sitzung keine Reden der Oppositionsparteien vorgesehen seien, und sagte ihre Teilnahme ab. Parteisprecher Bülent Tezcan warf der türkischen Führung vor, kurzfristig eine Änderung des Programms veranlasst zu haben, weil sie eine Rede von CHP-Chef Kilicdaroglu "fürchteten".

Die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP waren erst nach Protesten eingeladen worden. Die CHP wollte zunächst teilnehmen. Die HDP dagegen hatte von Anfang an einen Boykott der Sitzung angekündigt. Damit spricht Erdogan nur vor seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und der ultranationalistischen Oppositionspartei MHP, deren Chef Devlet Bahceli die Regierung schon länger unterstützt.

Am Abend des 15. Juli 2016 hatte eine Gruppe Militärs versucht, die Macht in der Türkei an sich zu reißen. Sie besetzten Straßen und Brücken und bombardierten das Parlament und den Präsidentenpalast, doch scheiterte der Umsturzversuch am Widerstand der Bevölkerung. Dass der Putsch vereitelt wurde, wertet die türkische Regierung als einen historischen Sieg der Demokratie.

249 Todesopfer

Bei dem Putschversuch waren nach offiziellen Angaben mindestens 249 Todesopfer zu beklagen. Nach Erdogans Angaben wurden außerdem 35 Putschisten getötet.