Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto hat Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) heute der ungarischen Nachrichtenagentur MTI zufolge vorgeworfen, die vier Visegrad-Länder Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei in der Flüchtlingsfrage entzweien zu wollen.
Kerns Interview
"Wir brauchen eine kraftvolle Vision, die gerade die Jungen begeistert. Die Grundidee Europas, dass wir gemeinsam stärker sind, muss mit neuem Leben erfüllt werden", erklärte der Bundeskanzler in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Handelsblatt" und verurteilte die Abschottungspolitik einiger Mitgliedsstaaten. "Wir brauchen innerhalb Europas offene Grenzen", sagte Kern, denn in Europa gehe es nicht nur um Märkte, sondern vor allem um Menschen. "Wir sind erfolgreich und wohlhabend geworden, weil wir eine offene und pluralistische Gesellschaft sind. Gerade vor den Entwicklungen in den USA, in China und Russland brauchen wir ein europäisches Gegenmodell der Offenheit", betonte er.
Kern unterstützt darum weiter mögliche EU-Sanktionen gegen Ungarn und Polen wegen mangelnder Kooperation und Solidarität in der Flüchtlingsfrage: "Wir haben es mit Appellen und Aufrufen zu Solidarität an Polen und Ungarn versucht und sind damit nicht weitergekommen. Aber wir müssen diesen Konflikt jetzt lösen." Europa sei kein Geschäftsmodell, so Kern. "Wenn jemand seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, muss diese Haltung zu Konsequenzen führen" führte der Bundeskanzler aus. "Wir haben so oft an die europäische Solidarität appelliert - vergeblich."
Scharfe Wortattacken aus Ungarn
Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto erklärte hingegen, die ungarische Regierung habe schon vor Langem festgestellt, dass einige westeuropäische Politiker versuchten, Zwietracht unter den Visegrad-Staaten zu säen. "Aber wir haben schlechte Nachrichten für sie: Es wird nicht funktionieren."
Die "Frustration" Kerns sei "verständlich angesichts der innenpolitischen Lage in Österreich". Aber es "wäre nett", wenn Kern Ungarn nicht in den österreichischen Wahlkampf hineinziehen würde. Österreichische Firmen hätten zudem durch EU-Gelder an Ungarn Gewinne in Milliardenhöhe gemacht, so Szijjarto laut MTI.
Italien nicht hängen lassen
Für Kern ist es allerdings völlig klar, dass man Italien mit dem Flüchtlingsproblem nicht allein lassen dürfe. "Die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs ist für die notwendigen Reformen bereit", sagte Kern und kritisierte diesbezüglich die Haltung Polens und Ungarns. "Wir können unseren Bürgern nicht erklären, dass Polen jedes Jahr 14 Milliarden Euro an EU-Subventionen bezieht und gleichzeitig uns in der Flüchtlingskrise allein lässt. Ungarn hat die Körperschaftsteuer auf neun Prozent gesenkt und ist gleichzeitig massiver EU-Nettoempfänger. Das passt für mich nicht zusammen."
Der Bundeskanzler sieht in der Haltung der beiden Länder die Konsequenz mehrerer Fehler, die auf die schrittweisen EU-Erweiterungen ohne Anpassung der Entscheidungsmechanismen zurückzuführen seien. "Die Einführung des Euros ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik" holten "uns jetzt mit großer Wucht" ein, erklärte der Bundeskanzler.