Mit Forderungen nach einer "Globalisierung des Widerstands und der Solidarität" hat in der norddeutschen Stadt Hamburg der alternative Gipfel der Kritiker der Top-Wirtschaftsmächte begonnen. Nach dem Einsatz von Wasserwerfern am Vortag ging es in der Innenstadt zunächst demonstrativ ruhig zu: Der "Marsch der 1.000 Gestalten" drückte stumm den Protest gegen den G-20-Gipfel aus. Von verschiedenen Orten zogen lehmverkrustete Gestalten schweigend und in Zeitlupe durch die Straßen, um auf dem Burchardplatz zu einer beeindruckenden Formation anzuwachsen - und sich dort von ihren Panzern zu befreien.
"Die Lehmgestalten stehen für eine Gesellschaft, die sich ihrer Hilflosigkeit vor den komplexen Zusammenhängen der Welt ergeben hat und in der der Einzelne nur noch für das eigene Vorankommen kämpft", teilten die Veranstalter mit.
Zwei Tage vor dem Treffen der reichen Industrieländer und aufstrebenden Wirtschaftsmächte (G-20) in der Hansestadt diskutieren Vertreter von rund 75 Initiativen über Alternativen zur aktuellen Politik der G-20, die aus ihrer Sicht die großen Probleme der Welt wie Klimawandel, Kriege und Hunger nicht lösen können.
Zu dem "Gipfel der globalen Solidarität" am Mittwoch und Donnerstag werden bis zu 1.500 Teilnehmer aus 20 Ländern in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel erwartet. Die Eröffnungsrede sollte die indische Globalisierungskritikerin Vandana Shiva, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, halten.
Basis des Protests am Millerntor
Die Hamburger Polizei genehmigte die Auftaktkundgebung "Welcome to Hell" am Donnerstag, einen Tag vor dem Gipfel, in unmittelbarer Nähe der Messehallen, vor dem Stadion am Millerntor. Im Stadion, der Heimat des Hamburger Fußballklubs St. Paul, hat das alternative Pressezentrum sein Lager errichtet. Täglich um 9.30 Uhr gibt es eine Pressekonferenz, die im Live-Stream übertragen wird.
Zu der Autonomen-Demo rechnen die Behörden mit bis zu 8.000 gewaltbereiten Linksextremisten aus dem In- und Ausland. 10.000 Teilnehmer haben die Organisatoren angemeldet. Für die große Abschlusskundgebung am Samstag werden bis zu 100.000 Teilnehmer erwartet.
Wasserwerfer im Schanzenviertel
Bereits am Dienstagabend gab es erste größere Konfrontationen zwischen Demonstranten und der Polizei. Nach Angaben einer Sprecherin der Beamten blockierten etwa tausend Menschen eine Straßenkreuzung im Schanzenviertel im Stadtteil St. Pauli. Die Einsatzkräfte setzen demnach auch einen Wasserwerfer ein, um die Menge zu vertreiben. Aufforderungen zum Verlassen der Straße seien die Menschen zuvor nicht gefolgt. Gegen Mitternacht habe sich die Situation dort wieder beruhigt.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten stand bisher die Frage sogenannter Protest- und Übernachtungscamps. Aktivisten aus dem linken Spektrum wollen zentrale Zeltstädte errichten, wo sie während des Gipfels wohnen. Die Polizei verbietet das aus Sicherheitsgründen und erließ entsprechende Verfügungen. Gerichte billigten dies. Aktivisten rückten in der Folge zum "Protestschlafen" in die Innenstadt aus.
Wasserwerfer gegen Demonstranten
Die Hamburger Polizei ist am Dienstagabend zu mehreren Einsätzen gegen Gegner des G-20-Gipfels ausgerückt. Im Stadtteil St. Pauli sei eine Straßenblockade aufgelöst worden, sagte ein Polizeisprecher. Am Neuen Pferdemarkt hatten sich demnach mehrere hundert Demonstranten versammelt. Die Beamten rückten mit Wasserwerfern an, um die Aktion zu beenden.
Auch im Bezirk Altona gab es einen größeren Polizeieinsatz. Die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer treffen sich am Freitag und Samstag in Hamburg. Zehntausende Gegendemonstranten aus verschiedenen Lagern werden erwartet, darunter bis zu 8.000 gewaltbereite Linksextremisten. Mindestens 19.000 Beamte werden das Gipfeltreffen absichern.
Bisher kam es allerdings zu keinen gewalttätigen Aktionen. Bei der Pressekonferenz am Mittwoch gaben die Gipfelgegner zu Protokoll, vielfach hätten ihnen Polizisten bescheinigt, den eigenen Aufmarsch als eher peinlich zu empfinden.
Keine Strafe für Berliner
Die Berliner Abordnung wurde ja vorzeitig zurückgeschickt. Strafe gibt es keine. "Disziplinarwürdig ist an ihrem Verhalten nichts", sagte der Sprecher der Berliner Polizei. Es gebe keine Belege, keine Aussagen von Zeugen, keine Videoaufnahmen oder Fotos, die "in irgendeiner Weise disziplinare Folgen" haben müssten. Diese Einschätzung sei "nahezu 100 Prozent im Einklang mit dem, was die Hamburger Polizei umfassend und akribisch ermittelt" habe, betonte Wenzel. Die mediale Berichterstattung sei "deutlich überhöht" gewesen. Es gebe keinen Anlass für Bewertungen, die im Zusammenhang mit einem "Sexskandal oder möglichen Orgien stehen würden".
Polizisten aus Österreich
Auch Österreich entsandte eine Abordnung von 200 Polizisten nach Hamburg, um die Exekutive zu unterstützen. Es handelt es sich dabei um Kräfte der Grenz- und Verkehrspolizei sowie der Sondereinheiten WEGA und Cobra. "Die konkrete Verwendung richtet sich nach den Einsatzstrategien der deutschen Polizei", betonte Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums.