Der neue Ratsvorsitzende, Estlands Premier Jüri Ratas, wünscht sich die „Freizügigkeit der Daten“ als „fünfte EU-Grundfreiheit“ - neben freiem Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Wie kaum ein anderes Land in der EU hat sich der nördlichste der drei Baltenstaaten dem digitalen Wandel verschrieben. Das Land, in dem Skype erfunden wurde, gehört zu den führenden Ländern im E-Government. Der Zugang zum Internet ist ein Grundrecht, und schon Taferlklassler lernen Programmieren. Die Entwicklung Estlands mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern ist seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 eine Erfolgsgeschichte. Das postsowjetisch, aber auch skandinavisch geprägte Land hat einen satt schnurrenden Wirtschaftsmotor, die Hauptstadt Tallinn ist die Heimat der Internet-Start-ups.
Mit dem EU-Ratsvorsitz sei nun ein „historischer Moment“ angebrochen, sagt Ratas, der nach dem Wirtschafts- und Jusstudium einige Jahre in der Privatwirtschaft gearbeitet hat. Der Mitte-links-Politiker, der seit November 2016 Premier ist, fordert allerdings auch mehr Solidarität und Kooperation innerhalb der EU und plädiert in der Flüchtlingsfrage für Abkommen mit afrikanischen Ländern. „Wenn jeder kommen kann und weiß, dass er nicht zurückgeschickt wird, wofür brauchen wir dann überhaupt Asylgesetze?“, fragte der dreifache Vater kürzlich in der Tageszeitung „Die Welt“. Estland wird nun also Digitalisierung zu einem Schwerpunkt seines EU-Vorsitzes machen. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass Estland auch das erste Land der Welt war, im Jahr 2007, das eine Cyberattacke gegen die gesamte Gesellschaft erlebt hat.
Manuela Swoboda