Morgen übernimmt Estland die EU-Ratspräsidentschaft von Malta. Es sind schwierige Zeiten, in denen der Baltenstaat mit seinen nur 1,3 Millionen Einwohnern die EU für ein halbes Jahr anführen wird. Der größte Brocken dürften die Brexit-Verhandlungen sein.
Wie kaum ein anderes Land in der EU hat sich der nördlichste der drei Baltenstaaten dem digitalen Wandel verschrieben. Das Land, in dem Skype erfunden wurde, gehört zu den führenden Ländern im E-Government. Der Zugang zum Internet gilt als Grundrecht, schon Erstklässler lernen in der Schule Programmieren.
Der künftige estnische Ratsvorsitzende Premier Jüri Ratas wünscht sich die "Freizügigkeit der Daten" als "fünfte EU-Grundfreiheit". Einen Tag vor Beginn des halbjährlichen Vorsitz seines Landes sagte Ratas in Tallinn, der digitale Binnenmarkt würde 400 Mrd. Euro für die Wirtschaft beitragen und Tausende Arbeitsplätze schaffen können.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wandte scherzhaft ein, dass er "immer noch kein Handy, immer noch kein Smartphone" habe. "Also ich könnte deshalb sicher nicht Premier in Estland werden, das wäre völlig ausgeschlossen. Jüri weiß das, daher hat er mir eine Postkarte geschickt, um mich nach Tallinn einzuladen. Aber selbst wenn ich kein Techniker bin, weiß ich, dass die Zukunft digital ist", so Juncker. Das "Digitale steckt in der DNA Ihres Landes, und es muss Teil der europäischen DNA werden".
Gleichzeitig verwies Juncker auf die Risiken bei der Cyber-Sicherheit. Bis 2020 werde es 50 Mrd. angeschlossene Geräte geben. "Erst letzes Jahr hatten wir 4.000 Angriffe pro Tag, das ist eine Zunahme um 300 Prozent gegenüber dem Jahr davor". Es gehe darum, Europa zu einem sicheren Ort für die Menschen zu machen. Dabei verwies Juncker auch auf das Ein- und Ausreisesystem und bedauerte, dass sich die Reform des gemeinsamen Asylsystems "schon zu lange hinzieht".
Ratas bezeichnete als Ziel des estnischen Vorsitzes, Europa "vereinter und stärker zu gestalten". Er wolle ein "angemessenes Gleichgewicht zwischen verschiedenen Interessen" finden und für alle Europäer greifbare Ergebnisse erzielen. Für Estland sei es ein historischer Moment, weil erstmals das kleine Land den EU-Ratsvorsitz innehaben werde.
Juncker unterstützte Ratas und sagte, "als früherer Ministerpräsident eines kleinen Landes (Luxemburg, Anm.) versichere ich Ihnen, dass die Präsidentschaften der kleineren Mitgliedsländer immer die erfolgreichsten sind".