Dass sich eine auf Bünden und Ländern gegründete Partei wie die ÖVP so aufgegeben hat, war ein Verzweiflungsakt.“ Diese kantigen Worte findet der frühere tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg für Sebastian Kurz und die Vollmacht, die sich der neue ÖVP-Obmann von seiner Partei hat ausstellen lassen. Es ist kein Teilnahmsloser, der hier spricht. Der Aristokrat wirkte in den Sechzigerjahren hinter den Kulissen an der Reform der ÖVP mit.

Gefallen sind die Worte am Freitagabend in der bis auf den letzten Platz gefüllten Stadtpfarrkirche von Murau, wo Schwarzenberg aus Anlass der 400-jährigen Präsenz seines Hauses in der obersteirischen Stadt mit Kleine-Zeitung-Chefredakteur Hubert Patterer und Außenpolitikchef Stefan Winkler einen unterhaltsamen Streifzug durch sein Leben als Wanderer zwischen den Welten unternahm. Dabei zeigte Schwarzenberg sich wenig begeistert von Kurz. „Schon seine Außenpolitik war immer von seiner Innenpolitik beeinflusst, aber das war ja offenbar ein erfolgreiches Konzept.“ Also könne Kurz die ÖVP nicht retten?, fragte Patterer. Schwarzenbergs Replik: „Die Frage ist, ob diese Altparteien überhaupt zu retten sind.“

Eben diesen Altparteien zeichnet der 79-Jährige ein düsteres Zukunftsbild. Sie würden aus dem 19. Jahrhundert stammen und hätten in den letzten Jahren keine neuen Visionen gehabt. Wer „immer dieselben Slogans, Ideen und Rezepte wiederholt“, könne nichts mehr erreichen. „Wenn man etwas zum dritten Mal aufkocht, schmeckt es einfach nicht mehr.“ Die „letzte neue Idee“ seien laut Schwarzenberg die Grünen gewesen, „doch die sind auch wie alle anderen geworden“. Wer sei dann der letzte Staatsmann Österreichs gewesen? Schwarzenberg: „Bruno Kreisky. Der hatte eine Vision und eine Vorstellung von der Größe Österreichs. Er hat dem Land nicht die Bedeutung eines Kleinstaates beigemessen.“

Auch gegenüber der EU schlug der eigentlich glühende Europäer kritische Töne an. Die Vertragsverletzungsverfahren, welche die EU gegen Polen, Tschechien und Ungarn wegen der fehlenden Aufnahme von Flüchtlingen eingeleitet hat, seien ein grober Fehler. „Das bringt nur weitere Katastrophen und Stimmung gegen die EU mit sich.“ Die Europäische Kommission tue so, als ob sie eine Regierung wäre. „Aber in Wirklichkeit sind sie nur Beamte und wir haben selten erlebt, dass Beamte große politische Probleme gelöst haben.“ Die Quotenregelung, wonach Flüchtlinge innerhalb der EU verteilt werden sollen, sei unüberlegt gewesen. „Mit dieser Verordnung hat sich die Laune komplett verändert und sogar die, die eigentlich wollten, wollten dann nicht mehr.“
Bei der Aufnahme von Flüchtlingen sieht der 79-Jährige die EU lange nicht am Limit. „Merkel hatte recht, als sie ‚Wir schaffen das!‘ gesagt hat, denn, sind wir uns ehrlich: Österreich und Deutschland haben das gut geschafft.“ „Natürlich“ gebe es Vorfälle wie in Köln, aber „wenn wir überlegen, wie viele gekommen sind, dann sind solche Vorfälle in der Minderheit“.

Dass die EU Fehler gemacht habe, zeige sich laut Schwarzenberg auch an ihrer bevorstehenden Scheidung von Großbritannien. Diese sei „eine Katastrophe“, da Großbritannien eine Großmacht sei, die als Bindeglied zwischen Europa und den USA fungiert habe. „Jetzt darf man nicht bestrafen, sondern muss alles Nötige unternehmen, um das Land so nah wie möglich an Europa zu halten“, erklärte Schwarzenberg.
Er warnte zugleich davor, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. „Man sollte einen großen Nachbarn nicht unnötig ärgern“, sagt Schwarzenberg – auch das eine Spitze gegen Außenminister Sebastian Kurz, aber auch gegen Kanzler Christian Kern, die beide entgegen der EU-Linie einen sofortigen Abbruch der Beitrittsgespräche mit Ankara fordern. Schwarzenberg: „Es ist immer besser, zu verhandeln.“