Die Zeit zum Austausch freundlicher Worte zwischen den Unterhändlern der EU und Großbritanniens könnte kurz sein. Denn nachdem rund ein Jahr seit dem britischen Ja zum EU-Austritt ohne die Aufnahme formaler Gespräche vergangen ist, ticken die Uhren in London und Brüssel mittlerweile sehr laut.

Die Wahlschlappe von Premierministerin Theresa May und die wackligen Mehrheitsverhältnisse im britischen Unterhaus haben die Lage zusätzlich verkompliziert. Nicht einmal zwei Jahre bleiben beiden Seiten nun bis zum 29. März 2019, um die Formalitäten der Scheidung zu klären.

Die offiziellen Gespräche sollen am Montagvormittag in Brüssel beginnen, obwohl May noch am Freitag um eine Mehrheit im Parlament ringen musste. Gegen den Chefunterhändler der EU, den früheren Binnenmarktkommissar und französischen Außenminister Michel Barnier, steigt Brexit-Minister David Davis für das Vereinigte Königreich in den Ring. Schon die ersten Verhandlungsrunden könnten zeigen, ob man nach dem Brexit eine freundschaftliche Basis pflegen kann oder das Tischtuch erst einmal zerschnitten ist.

Britischer Finanzminister will Ausnahmen

Mit den Stimmenverlusten für die Konservativen im Unterhaus ist die von May oft beschworene "starke und stabile" Position der Briten bei den Verhandlungen mit der EU dahin. In ihren eigenen Reihen schießen Vorstellungen ins Kraut, wie das Verhandlungsergebnis aussehen soll. Medienberichten zufolge ist zum Beispiel Finanzminister Philip Hammond für einen Verbleib in der EU-Zollunion. Beim EU-Finanzministertreffen in Luxemburg sagte Hammond dazu lediglich, dass nach seiner Ansicht der Schutz von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum für Großbritannien Vorrang in den Gesprächen haben sollten.

Andere Tories suchen Berichten zufolge einen Weg, den totalen Abschied vom EU-Binnenmarkt gleich ganz abzublasen. May wiederum bleibt bisher bei ihrer harten Linie eines kompletten EU-Austritts und eines eventuellen Abbruchs der Verhandlungen, falls ihr die Ergebnisse der Gespräche nicht passen. Diese Vielstimmigkeit aus London dürfte die Gespräche von Anfang an belasten, fürchten führende EU-Politiker. Denn niemand weiß, wie die verschiedenen Flügel der Tories auf einzelne Ergebnisse der Gespräche reagieren und ob sie May dann weiter stützen.

Wenig erbaut ist man in der Londoner Regierung vor allem über die Rechnung, die ihr nach dem Abschied aus Brüssel drohen könnte: Auf 60 oder gar 100 Milliarden Euro könnte sich die "exit-bill" laut EU-Kommission belaufen, die sich aus britischen Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der EU-Mitgliedschaft ergeben. Dazu zählen die Finanzierung von Strukturprojekten - unter anderem im Vereinigten Königreich - oder Pensionsansprüche. Die EU-Kommission verglich das Problem einmal mit der Rechnung für eine Runde Bier im Pub. Dort könne man ja auch nicht gehen, ohne die Zeche zu zahlen.

Wie wird abgerechnet?

Wieviele Milliarden am Ende auf dem Bierdeckel stehen, ist aber noch nicht absehbar. Deshalb will Barnier in den Verhandlungen zunächst die Berechnungsmethode klären und einen prozentualen Anteil für die britischen Verpflichtungen festlegen, die am Brexit-Tag, dem 29. März 2019, anstehen. Womöglich gibt es aber bereits um diese Methode Streit.

Ein anderes Thema soll möglichst schnell geklärt sein, um Millionen Menschen mehr Sicherheit bei ihrer Lebensplanung zu geben. Es geht um die Rechte und Ansprüche auf Sozialleistungen von rund einer Million Briten und etwa drei Millionen EU-Bürgern, die im jeweils anderen Hoheitsgebiet leben. Dazu muss auch ein Datum gefunden werden, ab dem die EU-Rechte für Bürger erlöschen, die neu nach Großbritannien ziehen. Die EU würde gern die vollen Rechte für all ihre Bürger festschreiben, die bis zum 29. März 2919 ins Königreich umsiedeln. Die britische Regierung will lieber einen möglichst frühen Tag festlegen, ab dem die Privilegien etwa bei Rentenansprüchen oder Gesundheitsversorgung erlöschen. Die Punkte sind vor allem für die Osteuropäer heikel. Auf den britischen Insel leben allein rund 800.000 Polen. Geklärt werden muss zudem, aus welchem Topf die Pensionsansprüche von britischen EU-Beamten gespeist werden sollen.

Mehr Kompromissbereitschaft haben beide Seiten bei einem anderen Thema signalisiert, das aber nicht weniger komplex ist: Die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland. Eine Übereinkunft über die einzige Landgrenze zwischen dem baldigen Ex-EU-Land Großbritannien und der Staatengemeinschaft ist auch deshalb so wichtig, weil der Frieden in Nordirland nicht gefährdet werden soll.

Auch ein Freihandelsabkommen soll kommen

In den Verhandlungen geht es zwar auch um die Klärung von so alltäglichen Dingen wie die Zulieferung von Molkereien mit Milch von irischen (also EU)-Kühen. Damit verbunden ist aber das Problem, dass May für die Briten gleich ein Freihandelsabkommen mitverhandeln will. Die EU-Unterhändler wollen dagegen erst die Scheidungsgespräche führen und später über das künftige Verhältnis zueinander beraten.

Die nordirischen Protestanten der DUP, die May im britischen Parlament unterstützen sollen, plädieren für eine möglichst offene Grenze zu Irland. Zugleich wollen sie aber auf jeden Fall jegliche politische Annäherung ihrer Provinz zum Nachbarland verhindern.

Eine andere Rechnung mancher britischer Politiker ging bisher nicht auf: Die Reihen der 27 EU-Staaten zu sprengen und einzelne Länder mit dem Angebot von Sonderkonditionen aus der Phalanx zu lösen. Vor allem die ärmeren osteuropäischen Staaten galten als empfänglich für britische Lockversuche. Denn sie fürchten Einbußen im EU-Haushalt, sobald der Nettozahler Großbritannien den Club verlassen hat. Auch die große Zahl an Arbeitskräften aus Ländern wie Polen oder Tschechien im Königreich galt als mögliches Einfallstor. Dass diese Strategie bisher offenbar nicht aufgegangen ist, dürfte zur erhöhten Nervosität unter den britischen Konservativen beigetragen haben.