Nach dem schweren Terroranschlag in Kabul will die deutsche Regierung Abschiebungen nach Afghanistan bis auf wenige Ausnahmen aussetzen. Diese vorläufige Regelung kündigte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in Berlin nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder an.
Abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan werden bis zur erneuten Prüfung der Sicherheitslage nur noch im Einzelfall in ihre Heimat abgeschoben. Zurückgeschickt werden sollen weiter Straftäter und sogenannte Gefährder - also Menschen, denen die Sicherheitsbehörden einen Terrorakt zutrauen. Das gelte auch für Menschen, die hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitätsfeststellung verweigerten, sagte die Kanzlerin. Das neue Lagebild solle bis Juli vorliegen.
Von Deutschland aus kehrten im vergangenen Jahr 3.300 Afghanen freiwillig in ihre Heimat zurück. Zudem gab es 67 Abschiebungen. In diesem Jahr liegt diese Zahl nach Angaben der Behörden bei etwas mehr als 100.
Merkel hatte diese Regelung bereits am Vormittag angedeutet, die SPD hatte eine Aussetzung verlangt. Die Regierungschefin sagte, dass sie in der Diskussion mit den Ministerpräsidenten der Länder auch darauf hingewiesen habe, dass man die Erfahrungen anderer EU-Staaten einbeziehen könne, die ebenfalls in Afghanistan im Rahmen des NATO-Einsatzes tätig seien. Die Abschiebepraxis zwischen den EU-Staaten variiert sehr stark.
Am Mittwoch hatte es in der afghanischen Hauptstadt Kabul einen Sprengstoffanschlag mit mindestens 90 Toten und Hunderten Verletzten gegeben, bei dem auch die deutsche Botschaft erheblich beschädigt wurde. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hatte daraufhin einen für Mittwoch geplanten Abschiebe-Flug nach Afghanistan zwar zunächst abgesagt und diese Entscheidung damit begründet, die Botschaft habe nach dem Anschlag Wichtigeres zu tun, als sich um Rückführungen zu kümmern. Der Flug werde aber möglichst bald nachgeholt. An der grundsätzlichen Haltung ändere sich nichts.
Von vielen Seiten - von den deutschen Linken, Grünen, Menschenrechtsgruppen, aber auch aus der SPD - kam jedoch die eindringliche Forderung, Abschiebungen nach Afghanistan sofort und komplett zu stoppen. Am Donnerstag sprach sich auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz dafür aus, auf Abschiebungen zunächst zu verzichten.
Attentäter warden hingerichtet
Nach dem Anschlag in der afghanischen Hauptstadt mit mindestens 90 Toten und rund 460 Verletzten will Präsident Ashraf Ghani elf Terroristen hinrichten lassen. Ein entsprechendes Dekret habe er am Donnerstag unterzeichnet, sagte eine Palastquelle, die nicht namentlich genannt werden wollte. Der Sender Tolo TV berichtete, dass auf der Liste in afghanischen Gefängnissen sitzende Kämpfer der radikalislamischen Taliban sowie des mit den Taliban verbundenen Haqqani-Netzwerkes stünden. Der afghanische Geheimdienst NDS erklärte, der Anschlag vom Mittwoch sei vom Haqqani-Netzwerk geplant und mithilfe des pakistanischen Geheimdienstes ISI ausgeführt worden. Pakistan wies die Anschuldigung am Donnerstag zurück. Afghanistan wirft Pakistan seit Jahren vor, die Haqqanis und die Taliban zu unterstützen.
Das Hakkani-Netzwek ist eine besonders brutale afghanische Aufständischengruppe, die eng mit den radikalislamischen Taliban zusammenarbeitet. Die Taliban sagten, sie seien an dem Anschlag nicht beteiligt gewesen. Sie hatten in der Vergangenheit nach Hinrichtungen ihrer Kämpfer Racheanschläge verübt. Zuletzt waren im Mai 2016 sechs Mitglieder der Taliban und der Haqqani-Terrorgruppe gehängt worden.