Das türkische Außenministerium weist Kritik von Wahlbeobachtern am Ablauf des Verfassungsreferendums zurück. "Zu sagen, dass das Referendum nicht den internationalen Standards entsprochen habe, ist nicht akzeptabel", erklärte das Ministerium am Montag zu den Vorwürfen des Europarates. Die Einschätzung der Beobachter spiegle eine "parteiische und befangene Herangehensweise" wider.

Der Leiter der Delegation der Wahlbeobachtermission des Europarates, Cezar Florin Preda, hatte zuvor gesagt: "Im Allgemeinen blieb das Referendum hinter Standards des Europarates zurück." Die Türkei ist sowohl Mitglied des Europarates als auch der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Experten kritisierten nicht nur den Wahlkampf, sondern auch die Änderung der Abstimmungsregeln. Der Einsatz ungestempelter Wahlzettel widerspreche dem Gesetz und der rechtliche Rahmen für einen demokratischen Prozess habe nicht ausgereicht. Die Wahlkommission hatte dagegen erklärt, es seien auch schon in Vergangenheit derartige Zettel gezählt worden

Richter "unter hohem politischem Druck"

Nach dem umstrittenen Sieg des "Ja"-Lagers hat die größte türkische Oppositionspartei CHP die türkische Wahlkommission (YSK) am Montag aufgefordert, das Wahlergebnis zu annullieren. Dabei werde man bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gehen. Dies ist nach Angaben unabhängiger Juristen jedoch nicht möglich.

Die Wahlkommission muss demnach nur vor sich selbst Rechenschaft ablegen und untersteht keiner anderen Behörde. Damit können die Entscheidungen der YSK grundsätzlich nicht vor Gerichten angefochten werden, weder vor nationalen wie dem türkischen Verfassungsgericht, noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Zwar könnte die YSK eigene Entscheidungen noch einmal überprüfen und der Forderung der Opposition nachkommen, das Referendum zu annullieren. Das ist jedoch höchst unwahrscheinlich.

Kritiker bemängeln schon lange die fehlende Unabhängigkeit türkischer Institutionen. "Auch wenn die Wahlkommission auf dem Papier von (Präsident Recep Tayyip) Erdogan und der AKP unabhängig ist, steht sie in Wirklichkeit unter hohem politischen Druck", sagte ein Richter, der namentlich nicht genannt werden wollte, der Nachrichtenagentur dpa.

Wie Europas Türken wählten

Während Türken in Österreich und Deutschland mit großer Mehrheit für die Einführung des Präsidialsystems des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gestimmt haben, fiel das Ergebnis in der Schweiz ganz anders aus. Hier sagte eine deutliche Mehrheit der Wähler - rund 62 Prozent - "Nein", wie die Nachrichtenagentur sda am Montag berichtete.

Der Anteil der Nein-Stimmen, die in der türkischen Botschaft in Bern abgegeben wurden, liegt sogar bei 70 Prozent. Im Generalkonsulat in Zürich waren 64 Prozent Nein-Stimmen in der Urne. Im Konsulat in Genf hingegen unterstützte eine Mehrheit der Wähler (55 Prozent) die umstrittene Verfassungsreform von Präsident Erdogan.

Das "Nein" überwog in (Auswahl):

Die Türken in Österreich sprachen sich mit über 73 Prozent (38.215 Stimmen) deutlicher für die umstrittene Verfassungsreform in der Türkei ausgesprochen als ihre Landsleute in der Heimat. Knapp 27 Prozent (13.972) stimmten dagegen.

In Deutschland kam das Ja-Lager auf rund 63 Prozent, in den Niederlanden auf 71 Prozent. Auf den höchsten Wert in Europa kam Belgien mit 75,1 Prozent "Ja"-Stimmen. In Frankreich stimmten 65 Prozent für die Verfassungsreform. Die Türkische Gemeinde in Deutschland zeigte sich besorgt über das Ergebnis. "Es ist erschreckend, dass Menschen die in zweiter und dritter Gastarbeitergeneration hier in Deutschland leben, sich für ein System entscheiden, das alle demokratischen Rechte mit Füßen tritt", sagte der Vorsitzende Gökay Sofuoglu am Ostermontag der Nachrichtenagentur dpa.

Bulgarische Türken klar dagegen

Die türkischen Wähler in Bulgarien haben die Verfassungsänderungen in der Türkei klar abgelehnt. Bei dem Referendum votierten 71,35 Prozent der Stimmberechtigten in dem an die Türkei grenzenden EU-Land mit Nein. Nur 28,65 Prozent stimmten für das von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Präsidialsystem, wie der Fernsehsender Telewisija Ewropa am Montag berichtete.

In Bulgarien sind zwar zehn Prozent der 7,1 Millionen Einwohner ethnische Türken aus der Zeit des Osmanischen Reiches. Stimmberechtigt bei dem Referendum am Sonntag waren Medienberichten zufolge aber nur rund 10.000 Türken mit doppelter Staatsangehörigkeit.

Bulgariens traditionelle Türkenpartei DPS kritisierte die geplante Verfassungsreform in der Türkei unterdessen scharf. Nur der kleinen Splitterpartei DOST wird noch Nähe zu Erdogan nachgesagt.

Analysten in Sofia schlossen nicht aus, dass bulgarische Aussiedler nach der Entscheidung zugunsten Erdogans in ihre alte Heimat zurückkehren könnten. Hunderttausende ethnische Türken waren in mehreren Aussiedlungswellen vor dem Fall des Kommunismus 1989 und auch danach aus Bulgarien in die Türkei übergesiedelt.