Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat das Parlament erstmals indirekt aufgefordert, die Todesstrafe einzuführen. Er denke, dass das Parlament nach dem Verfassungsreferendum Mitte April "das Notwendige" tun werde, sagte Erdogan am Samstag bei einer Kundgebung im nordwesttürkischen Canakkale mit Blick auf die Todesstrafe.
Die EU und die Bundesregierung hatten Ankara wiederholt eindringlich gewarnt, dass dies das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten würde.
"Die Familien der Märtyrer, die Familien unserer Helden müssen sich keine Sorgen machen", sagte Erdogan an die Adresse der Türken, die sich Mitte Juli einem Staatsstreich entgegengestellt und den Präsidenten unterstützt hatten. "Ich glaube, so Gott will, wird das Parlament das Notwendige tun hinsichtlich eurer Forderungen nach der Todesstrafe nach dem 16. April." In diesem Fall werde er das Gesetz "ohne Zögern" unterzeichnen.
Die Türkei hatte im Zuge ihres Bestrebens, Mitglied der Europäischen Union zu werden, im Jahr 2004 die Todesstrafe abgeschafft. Erdogan machte nun aber deutlich, dass ihn die Warnungen der EU nicht kümmern.
"Was Hans und George sagen, ist nicht wichtig für mich", sagte er bei der im Fernsehen übertragenen Kundgebung. "Was das Volk sagt, was die Gesetze sagen, das ist wichtig für uns." Erdogans Anhänger reagierten mit lautem Jubel. Bereits im Februar hatte Erdogan versichert, dass ihn Kritik von "Hans und George" nicht interessiere.
Erdogan hat nach dem gescheiterten Putschversuch bereits mehrfach erklärt, dass er ein Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe unterzeichnen werde, falls das Parlament es beschließe. Die EU-Kommission machte schon früh deutlich, dass die Türkei in diesem Falle nicht EU-Mitglied werden könne. Auch der Europarat hält eine Mitgliedschaft der Türkei in der Organisation für nicht vereinbar mit einer Wiedereinführung der Todesstrafe.
Die Bundesregierung machte ihre ablehnende Haltung ebenfalls wiederholt deutlich. "Deutschland und die EU haben eine klare Haltung: Wir lehnen die Todesstrafe kategorisch ab", sagte kurz nach dem Putschversuch Regierungssprecher Steffen Seibert. "Die Einführung der Todesstrafe in der Türkei würde folglich das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten."
Mitte Februar hatte der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bekräftigt, eine Wiedereinführung in der Türkei sei "die absolut rote Linie". Wenn dies passiere, dann sei "die Frage der Zukunft von Beitrittsgesprächen entschieden".
Nun erklärte auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Samstag: "Wenn Erdogan die Todesstrafe in der Türkei einführt, ist es endgültig vorbei mit dem Beitritt zur EU." Die Ankündigung des türkischen Präsidenten mache deutlich, dass er kein Interesse an einem Beitritt habe.
Steinmeiers Amtsnachfolger Sigmar Gabriel sagte in einem Interview mit dem "Spiegel", das am Samstag vor Erdogans Äußerungen in Canakkale veröffentlicht wurde, er glaube nicht an einen EU-Beitritt der Türkei. Das Land sei davon "heute weiter entfernt als je zuvor".
Mit dem Verfassungsreferendum am 16. April will Erdogan seine Machtbefugnisse weiter ausdehnen. Unter anderem wegen des Verbots von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland und den Niederlanden sind die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei äußerst angespannt.
Gabriel drohte türkischen Politikern im "Spiegel" mit einem Auftrittsverbot, sollten sie sich in der Wortwahl vergreifen. "Wir haben sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass wir jederzeit alle notwendigen Maßnahmen ergreifen können und ergreifen werden, wenn sich Ankara nicht an die deutsche Rechtsordnung hält", sagte der Außenminister.