Die Musik sagte viel an diesem Wahlabend. Daft Punkt spielte die Regie ein, als der niederländische Regierungschef um kurz vor Mitternacht vor seine Anhänger trat: "One more time" - ein weitere Amtszeit also schließt sich für Rechtsliberale Politiker als Premier an. Von einem "historischen Abend" sprach der gelöste Rutte in seiner klugen Ansprache, gratulierte selbst knapp Geert Wilders und mahnte umgehend zur Geschlossenheit: "Im Wahlkampf werden die Unterschiede betont, jetzt müssen wir das Land wieder zusammenführen."
So souverän und gelassen hatte man Mark Rutte, 50, selten gesehen. Seit 2010 regiert er das Land. In der ersten Amtszeit bis 2012 gab er den Wilders light, in der zweiten setzte er auf Angela Merkels Austerität. Nun schien Rutte plötzlich seine Rolle gefunden zu haben, der Wähler dankte es mit einem starken Ergebnis, wenn auch leichten Verletzung. In der Auseinandersetzung mit der Türkei gab er den Staatsmann, in der Auseinandersetzung mit Wilders den Verteidiger Europas und seiner liberalen Werte (das Land "hat Stopp gesagt zu einem falschen Populismus") und in seiner künftigen Rolle als Premier den väterlichen Betriebsmanager. Ruttes neues Vierjahresprogramm lautet: Teilhabe. Der Liberale lobte die Stärke der niederländischen Wirtschaft. "Jetzt gilt es die Erfolge auf Makro-Ebene auf die Mikro-Ebene zu übersetzen", sagte Rutte und nannte: "Sicherheit, Seniorenpolitik und Investitionen in die Infrastruktur." Es tut sich was in den Niederlanden. Die Sparwelle ist vorbei.
Ein kleines Zeichen an die Bevölkerung und die gefühlten soziale Angst. Und ein Zeichen an mögliche Koalitionspartner für seine rechtsliberale Partei VVD. Noch in der Nacht telefonierte Rutte mit den erstarkten Christdemokraten von Sybrand Buma, den sozialliberalen D66 von Alexander Pechtold und Grünen-Spitzenkandidat Jesse Klaver. Noch ein Fingerzeig. Rutte versucht den Grünen Frontmann nach dessen Überraschungserfolg einzubinden. Sollte das Scheitern, stünden christliche Kleinparteien wie die SGP oder die Christenunion bereit. Schon am Donnerstag fanden in Den Haag unter Vorsitz von Parlamentspräsidentin Khadija Ariba die erste Sondierung der politischen Lage statt.
Klaver, 30, wurde zu seiner Wahlparty mit Musik Black Eyed Peas empfangen: "I Gotta Feeling - Tonight's gonna be a good night". Ihn trieb das Gefühl des heimlichen Wahlsiegers und so mochte er sich mit der Rolle als linker Junior einer Mitte-Rechtskoalition noch nicht ganz abfinden. Rote Hut heißt sein Koalitionswunsch in Anlehnung an das gleichnamige Amsterdamer Kulturzentrum, in dem Klaver während einer TV-Runde im Wahlkampf seine Vision einer linken Mehrheit entworfen. Mit Christdemokraten, Sozialliberalen, der Linkspartei und den Grünen, schließlich heißt die Partei in den Niederlanden GroenLinks. Eine leise Hoffnung.
Selbst Rutte zeigte sich kurz unsicher, ob das nicht gelingen könnte. Eine leise Angst. Der Mann wird gebraucht. Er ist das rechtsliberale Bollwerk gegen Wilders und seine rechtspopulistische Partei PVV. Die beiden sind aufeinander angewiesen. Keiner kann ohne den anderen. Verzweifelt wiederholte Wilders in der Wahlnacht sein Kooperationsangebot. Und weil die Absage schon vorher feststand fügte er hinzu: "Rutte kriegt mich nicht los."
Andere hat er los. Die Sozialdemokraten, Ruttes bisheriger Koalitionspartner, erlebten einen historischen Absturz. Zum Trost gab's auf der Wahlparty Rick Astley: "Never give you up". Und Frontmann Lodewijk Asscher beschwor die eigenen Ideale. Aber die Sozialdemokraten stehen vor einem radikalen Neuanfang. Sie zahlten den Preis für Ruttes Sparkurs. Die Grünen sind also gewarnt vor dem Pakt mit dem liberalen Vampir. Doch wie Rutte in der Wahlnacht schon andeutete: Die Zeit des Sparens ist vorbei. Das erleichtert Koalitionsgespräche. Es könnte schneller gehen als gedacht in den Niederlanden.
Von Peter Riesbeck