"Europa atmet auf: Neuerlich hat ein angekündigter Sieg eines Rechtspopulisten nicht stattgefunden" - lässt sich der Wahlausgang in den Niederlanden auf diesen Satz reduzieren?
ANDREJ ZWITTER: Man könnte, aber man muss anhängen, dass dieses Wahlergebnis auch das Problem spiegelt, mit dem die EU seit Jahren zu kämpfen hat: Das Friedensprojekt muss den Bürgern wieder klar gemacht werden, die EU ist nicht nur ein ökonomischer Pakt. Die Wirtschaftskrise, die Flüchtlingskrise, der Brexit, das alles sind Probleme die dazu führen, dass Populisten ohne Lösungsansätze Anklang finden. Daran muss man arbeiten.
Dennoch blieb Geert Wilders weit hinter den Erwartungen zurück.
ZWITTER: Stimmt, der Zuspruch ist mit einem Plus von vier Sitzen im Parlament weit geringer ausgefallen, als erwartet, aber man muss das Ergebnis genauer betrachten. Auch Mark Rutte, der Premierminister hat mit seiner Partei zehn Sitze verloren. Das ist sehr viel. Und der Juniorpartner in der Regierung, die Sozialisten, wurden in einer historischen Dimension abgewählt. Diese Stimmen gingen aber eben nicht an Rutte, sondern wanderten nach links ab. Damit sehen wir auch in den Niederlanden, dass die Spaltung Europas in extreme Lager voran geht.
Die Grünen haben sich vervierfacht - ebenso ein historischer Wert. Wo steht die Partei, die sich formell als Grün-Links bezeichnet?
ZWITTER: Inhaltlich kann man sie durchaus mit den Grünen in Österreich vergleichen. Wenn man so will, hat man nun in Holland jene Situation die man auch in Österreich bei den Wahlen 2016 hatte: zwei starke Pole abseits der klassischen Volksparteien.
Warum schaffte es Premierminister Rutte nicht mehr Wähler an sich zu binden?
ZWITTER: Die Wahl hat die Menschen bewegt, das sieht man auch daran, dass Stimmzettel nachgedruckt werden mussten, weil so viele Menschen wählen gingen. Das kostete Rutte natürlich einige Prozentpunkte, denn die Menschen, die links wählten, stellten sich auch klar hinter die niederländische Tradition eines liberalen Staates, in dem extreme Äußerungen keinen Platz haben. Ob das Schaugefecht mit Erdogan Rutte sogar ein paar Prozente gekostet hat oder Leute davon abhielt, andere Parteien zu wählen, ist derzeit allerdings noch nicht klar.