Der Streit zwischen Europa und der Türkei schaukelt sich weiter auf und hat einem Bericht der Tageszeitung "Die Welt" zufolge erste Folgen für die NATO. Im Visier habe Ankara dabei Österreich. Demnach würden alle NATO-Partnerschaftsprogramme blockiert, an denen Österreich beteiligt ist. Dies könnte wichtige NATO-Einsätze wie im Kosovo, in Afghanistan oder im Mittelmeer gefährden oder beeinträchtigen.
Mehrere Partnerländer wie Schweden oder Finnland hätten in Schreiben an NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor "sehr ernsthaften Konsequenzen der Blockade" durch Ankara gewarnt. "Langfristig kann eine Erosion unserer Interoperabilität unsere Fähigkeiten behindern, an anspruchsvollen NATO-Übungen teilzunehmen und NATO-geführte Operationen zu unterstützen", heiße es in dem Schreiben der finnischen NATO-Botschafterin Piritta Asunmaa an Stoltenberg.
Betroffen ist demnach vor allem das Programm der Partnerschaft für den Frieden (PfP), unter dessen 41 Teilnehmerländern auch Österreich ist. "Die türkische Blockade der Partnerschaftsprogramme ist ein sehr ernstes Problem", zitierte die Zeitung hochrangige Kreise des Bündnisses.
Ankara reagiere mit der Blockade auf die österreichischen Forderungen nach einem Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei und auf die Kritik Wiens an der Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
Österreich will sich nicht abbringen lassen
Österreich will sich von einer türkischen Blockade innerhalb der NATO nicht von seinem militärischen Engagement am Westbalkan abbringen lassen. "Wir halten an unseren Einsätzen fest", teilte Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil (SPÖ) am Mittwoch der APA über seinen Sprecher Stefan Hirsch mit. Die Blockade dauere schon "seit geraumer Zeit" und könnte "längerfristig" Probleme auslösen.
"Kurzfristig hat das für unsere Einsätze auf dem Westbalkan keine Auswirkungen", betonte Hirsch. Österreich sei im Kosovo und Bosnien-Herzegowina mit insgesamt 800 Soldaten (sowie 200 Reservisten) ein "wichtiger Truppensteller". "Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern", versicherte der Ministersprecher. Schließlich werde das österreichische Engagement von EU und NATO geschätzt.
"Es wird Zeit, dass Europa das Verhältnis zur Türkei klärt", hatte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) in einem Positionspapier anlässlich des österreichischen EU-Vorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 erklärt. Im Gegensatz zu den Beitrittskandidaten am Westbalkan bewege sich die Türkei "seit Jahren weg von der EU", heißt es in einem Papier, das der APA am Mittwoch vorlag. Der gescheiterte Putschversuch habe diesen Prozess noch beschleunigt. Von "dramatischen Auswirkungen auf Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie" ist die Rede. Zusätzlich erwähnt werden "die inakzeptablen Provokationen im Zusammenhang mit Wahlkampfauftritten in EU-Mitgliedstaaten" im Vorfeld des türkischen Verfassungsreferendums.
"Der Beitritt dieser Türkei zur EU ist daher undenkbar." Gleichzeitig bleibe die Türkei aber ein bedeutender regionaler und wirtschaftlicher Akteur. Sowohl die EU als auch die Türkei hätten ein "Interesse an möglichst engen und konstruktiven Beziehungen auf Augenhöhe" und auf allen Ebenen.
Nachbarschaftsvertrag statt Beitritt
"Sinnvoller als ein starres Festhalten an einer Beitrittsfiktion ist daher ein realistischer Ansatz: ein neuer Europäisch-Türkischer Nachbarschaftsvertrag", so der Vorschlag. Weder eine Beitrittsoption solle darin enthalten sein, noch die Personenfreizügigkeit im Rahmen eines Binnenmarkts. Basis für den Vertrag sollte eine modernisierte Zollunion sein. Es könnte auch Kooperation in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Inneres umfassen, einschließlich Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung.
Anders ist die Lage bei Ländern wie Serbien oder Mazedonien. Der "EU-Beitritt für die sechs Staaten des Westbalkans muss aufrechterhalten bleiben. Sie ist und bleibt der wesentliche Ansporn für Reformen." Gerade die Migrationskrise habe gezeigt, dass Stabilität und Sicherheit am Westbalkan unerlässlich ist für die Stabilität und Sicherheit Zentraleuropas, heißt es.
Österreich hat sich schon öfter für eine privilegierte Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei ausgesprochen. Nach dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 und dem darauffolgenden Vorgehen Ankaras gegen Oppositionelle und Medien hatten Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sowie auch Kurz ein Aussetzen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert.