Die Symbolik könnte nicht dramatischer sein. Heute fällt in den Niederlanden der Startschuss zum europäischen Superwahljahr. 2017 werden in drei der sechs EU-Gründungsländer, in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, die Karten neu gemischt, womöglich passiert dies heuer auch noch im vierten EU-Schlüsselland, in Italien.
Worin die Dramatik besteht: Nicht in irgendwelchen peripheren Staaten des Kontinents, im Herzen der EU, in vier EU-Gründungsländern, sind die Populisten am Vormarsch und versetzen mit ihren Slogans das europäische Establishment in Brüssel und den Hauptstädten in Angst und Schrecken.
Die europäische Erzählung, die Ende des 20. Jahrhunderts den Diskurs bestimmt hatte, verfängt nicht mehr und hat sich als Elitenprojekt verselbstständigt. Viele Bürger können mit den pathetischen Verheißungen, die auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstanden sind, wenig bis nichts anfangen. Ihre Lebenswirklichkeit findet keinen Resonanzboden mehr, die wohl gesetzten Worte sind zur leere Hülle verkrustet. Umso stärker steigt die Attraktivität jener, die mit dem Finger auf jene zeigen, die sich bequem im Sofa Europas eingerichtet haben.
In den Niederlanden sah es lang so aus, als ob Geert Wilders am heutigen Abend triumphieren würde, die schweren Verwerfungen zwischen Den Haag und Ankara wegen des versuchten Auftritts türkischer Minister könnte dem rechtsliberalen Premier Mark Rutte doch noch zum Sieg verhelfen, quasi in der Schlusssekunde. Letzten Umfragen zufolge dürfte Rechtspopulist Wilders beim Kampf um Platz eins heute das Nachsehen haben.
Der Papierform nach dürfte auch Marine Le Pen bei den französischen Präsidentenwahlen das Nachsehen haben. Zwar hängen die beiden Favoriten für den Einzug in die Stichwahl, der Konservative Francois Fillon und der unabhängige Mittelinks-Kandidat Emmanuel Macron, wegen jüngster Ermittlungen der Justiz in den Seilen. Die Chefin des Front National wird mit größter Wahrscheinlichkeit Anfang Mai die Stichwahl beschreiten, wegen des immer noch funktionierenden Cordon sanitaires scheint Platz eins aussichtslos zu sein - vielleicht so aussichtslos, wie vor einem Jahr ein Sieg von Donald Trump in den USA und der Brexit in Großbritannien zu sein schien.
In Deutschland hält trotz jüngster Rückschläge der Vormarsch der AfD an. Bis zu den Wahlen im Herbst ist noch ein weiter Weg, niemand weiß, was die nächste Monate bringt, ob die Andeutungen der letzten Tagen aus Ankara, man würde den mit der EU eingegangen Flüchtlingsdeals bald aufkündigen, tatsächlich in die Realität umgesetzt werden.
Selbst wenn in keinem der drei EU-Länder zu Jahresende die Rechtspopulisten an den Schalthebeln der Macht sitzen: Er wäre fatal, wenn sich Europas Verantwortlichen in falscher Sicherheit wiegen und zur Tagesordnung übergehen wollen. In Österreich haben die Populisten bei der Hofburg-Wahl höchstens eine Schlacht verloren, der Triumph der "antipopulistischen Front" war nicht mehr als ein Pyrrhussieg. An der tiefen Entfremdung weiter Kreise von der nationalen und europäischen Politik hat sich nichts verändert. Solange die Politik den Menschen keine glaubhaften Perspektiven anbietet, keine Sicherheiten vermittelt, solange die Glaubwürdigkeit erschüttert bleibt, das Misstrauen überwiegt, haben Europas Populisten leichtes Spiel. Und das noch auf Jahre hinaus.