Donald Trump versuchte bei seiner ersten Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses einen Neustart seiner Präsidentschaft. Weniger düster als seine Ausführungen am Tag der Amtseinführung, bemühte sich Trump darum, einen optimistischeren Ton anzuschlagen.

Gemessen an seinen Verhältnissen, gelang das in der vom Teleprompter abgelesenen Rede zum Teil. Weit von einem rhetorischen Meisterwerk entfernt, schaffte es Trump immerhin, seine Botschaft in ganzen Sätzen zu formulieren.

Leider reichen ein paar wohlklingende Worthülsen nicht mehr aus, verloren gegangen Vertrauen zurück zu gewinnen. Dafür hat Trump in den ersten Wochen seiner alles anderen als normalen Präsidentschaft schon zu viel Porzellan zerschlagen.

Sein allgemeiner Ruf zur Einheit kontrastiert mit der spezifischen Politik, mit der er die amerikanische Gesellschaft spaltet. Nichts von dem hat Trump bei seinem Auftritte vor dem US-Kongress korrigiert. Im Gegenteil versprach er schon sehr bald mit dem Beginn einer "großen, großen Mauer" zu beginnen.

Die drohende Massen-Deportation von elf Millionen Einwanderern, der nächste Anlauf für einen Muslim-Bann und die Angriffe auf die Pressefreiheit schaffen wenig Vertrauen in Trumps Worte. 

Mehr als einmal brachen die Demokraten in Gelächter aus als es der in Superlative verliebte Präsident zu weit trieb: Dass er den korrupten Sumpf in Washington austrocknen wolle, ebenso wie bei der Forderung des kindischen Twitter-Präsidenten, Trivialitäten zu überwinden. Appellierte da einer an sich selber?

Sein Versprechen eines Infrastruktur-Programms im Volumen von einer Billion (engl. Trillion) Dollar, der historischen Aufrüstung der Streitkräfte und des Ersatzes von Obamacare mit einer bezahlbaren Krankenversicherung für alle hatte mehr den Charakter eines Wunschkatalogs als irgendeinen Bezug zur Wirklichkeit auf dem Capitol Hill.

Die Verbündeten in Europa dürften Trumps Bekenntnis zur NATO mit Genugtuung registriert haben. Wenngleich der Präsident sich einen hämischen Seitenhieb nicht verkneifen konnte. Dank seiner Intervention fingen die NATO-Partner jetzt endlich an, ihren fairen Teil der Lasten zu schultern. 

Umso beunruhigender bleibt der offen propagierte Protektionismus, der das Herzstück von Trumps "America First"-Politik ausmacht. Das Eingeständnis, nur am Wohl Amerikas interessiert zu sein, markiert einmal mehr die Abwendung von der Rolle der USA als westliche Führungsmacht.  

Seine Rede zur "Lage der Nation" blieb unterm Strich eine verpasste Gelegenheit, weil Trump es versäumte, sie in der Realität zu gründen. Nicht wenige Amerikaner dürften sich an diesem Abend gefragt haben, ob sie in demselben Land wie ihr Präsident leben.

Die leeren Plätze im Kongress, die als Zeichen des Protests weiß gekleideten Frauen in der Fraktion der Demokraten und der einseitige Enthusiasmus der Republikaner illustrierten, wie zerrissen das Land ist. 

Präsident Trump zeigte wenig Kapazität, daran etwas zu ändern. Selten war die Lage der tief gespaltenen Nation angespannter als in diesen schicksalhaften Tagen.