Die Kalaschnikow, die im Haus seiner Familie hing, hätte Hasib Afzali früher einfach genommen. Er hätte sie von der Wand geholt und geschossen, auf Menschen, die man ihm genannt hätte. "Heute", sagt der 22-Jährige, "will ich keine einzige Katze umbringen." Er war 14 Jahre alt, erzählt er, da floh er aus Afghanistan, vor einer Kaskade aus Rache in seiner Familie, vor der Gewalt in seinem Land. Jetzt, nach sechs Jahren in Deutschland, ist er wieder geflohen - ins Kirchenasyl, vor der Zwangsabschiebung.

Drei Jahre lang arbeitet Afzali als Baggerfahrer in München - sobald und solange ihm die Behörden die Erlaubnis dafür geben. Von den Kollegen und beim Training im Fußballverein lernt er Deutsch. Er spricht gut. "Ich habe Miete gezahlt", sagt der junge, dünne Mann. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, aber er bekommt eine Duldung wegen der bedrohlichen Sicherheitslage in Afghanistan, immer wieder. Bis jetzt. Geht es nach dem Staat, sollte Afzali schon in Kabul sein.

Kirchenaysl in Unterfranken

Doch er lebt jetzt in Unterfranken. In Haßfurt wohnt er in einem Haus mit der Gemeindepfarrerin Doris Otminghaus und ihrer Familie. "Bei Hasib", sagt die Pfarrerin, "ging es vor Weihnachten einfach erstmal darum, dass er sicher ist." Sicherheit. Afghanistan, derzeit Nummer zwei der Herkunftsländer, als Abschiebungsziel; Deutschland als Rechtsstaat, als Demokratie; das Leben einzelner Asylbewerber - all das gilt es zu sichern, zu schützen. Wie das möglich ist, darüber streitet Deutschland.

Über den Iran, die Türkei und Griechenland war Afzali nach München gekommen, als 16-Jähriger. Er erinnert sich an sein Staunen: "Hier ist die Polizei: nett." Vor einigen Wochen aber fängt es an: Afzali stellt sich immer mit dem Rücken zur Wand - damit er die Polizei kommen sieht. Er habe ein Messer im Rucksack gehabt, sagt er, nicht um andere zu verletzen, sondern um sich im Notfall das Leben zu nehmen. "Ich kann nicht zurück nach Afghanistan." Beinahe wäre er dort wieder gelandet.

Denn Afzali gehört jetzt zu den Afghanen in Deutschland, die als abschiebefähig gelten. Die Bundesregierung hat - in Amtshilfe für die Länder - damit begonnen, sie Flieger für Flieger auch unfreiwillig zurückzubringen. Derzeit leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums (BMI) rund 11.900 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland, davon sind etwa 11.500 geduldet - rund ein Zehntel davon in Bayern - und dürfen also etwa wegen einer schweren Krankheit oder fehlender Papiere erst einmal in Deutschland bleiben. Zum Rest zählt auch Afzali.

Krankheit verhindert die Abschiebung

Seinen letzten Duldungsbescheid erhält er Ende vergangenen Jahres, er gilt für einen Monat. Danach, das begreift der 22-Jährige, soll er zurück nach Afghanistan. Wann genau, weiß er nicht. Er wird krank, die Gürtelrose, er schläft nicht mehr. Über eine Ärztin und Freunde findet er den Weg nach Haßfurt, ins Haus der Kirche. Er ist schon weg, als die Polizei kommt, am 14. Dezember, um ihn zu holen. Er sollte in dem Flieger sitzen, der 34 Afghanen aus Frankfurt am Main nach Kabul gebracht hat - die erste Sammelabschiebung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan, die nicht freiwillig zurück wollten.

Die nächste Sammelabschiebung von etwa 50 afghanischen Flüchtlingen aus Deutschland ist nach Informationen aus Kabuler Regierungskreisen für Dienstag geplant. Nach Angaben von Pro Asyl könnte der Start in Deutschland schon am Montag erfolgen.

"Ich bin persönlich durchaus grundsätzlich dafür, dass abgeschoben wird, wer keinen Anspruch auf Aufenthalt hat und abschiebefähig ist, sofern die Lage in seinem Herkunftsland sicher ist", sagt Stephan Reichel, Referent für Kirchenasyl der evangelischen Landeskirche in Bayern. Er ist mit Pfarrerin Otminghaus befreundet und mit Afzalis Fall vertraut. "Aber nach Afghanistan kann man derzeit nicht abschieben." In weiten Teilen des Landes bekämpfen sich Regierungstruppen und radikalislamische Taliban-Rebellen, es kommt immer wieder zu Anschlägen.

Die Entscheidung, welche Personen abgeschoben werden, liegt bei den Ländern - aber das BMI und das Auswärtige Amt halten Afghanistan jedenfalls für sicher genug, um dorthin abzuschieben. "Die von den Taliban verübten Anschläge", schreibt eine BMI-Sprecherin, "richten sich gezielt auf Angehörige der internationalen Gemeinschaft und gerade nicht auf die Zivilbevölkerung."

Signalwirkung für die Bevölkerung Afghanistans

In den Regionen Kabul, Herat, Bamiyan und Panjshir zum Beispiel sei die Lage für die afghanische Zivilbevölkerung konstant ausreichend sicher. "Wir wollen, dass in Afghanistan das Signal ankommt: "Bleibt dort! Wir führen euch aus Europa direkt nach Afghanistan zurück!"", erklärt der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) im November in Brüssel. Ein Signal in Zeiten, in denen die AfD in Deutschland Zulauf hat, in denen die Anschläge von Ansbach, Würzburg und Berlin die Diskussion um Behördenversagen anheizen.

Während etwa die Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), einen sofortigen Stopp der Sammelabschiebungen fordert, verteidigt de Maiziere sie: "Solche Rückführungsmaßnahmen sind richtig und notwendig, um unser Asylsystem funktionsfähig zu halten. Am letzten Sammelflug beteiligten sich neben dem Freistaat auch Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, NRW und das Saarland.

Afzalis Chef hat eine Petition für ihn im Landtag eingereicht, um ihn im Land zu halten, sie ist noch nicht angenommen. "Wie es weitergeht, ist offen", sagt Reichel. "Entweder entscheidet der Landtag, dass Hasib bleiben kann, oder wir bringen ihn in die Härtefallkommission." Auch die juristische Schiene sei noch denkbar, über einen Folgeantrag wegen seiner schweren gesundheitlichen Probleme.

Bedrohungen durch radikale Kräfte gebe es in vielen Teilen der Welt, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Bayern will sich auch weiter an den Rückführungen des Bundes nach Afghanistan beteiligen. Afghanische Sicherheitskräfte sorgen, so argumentiert Herrmann, für die Sicherheit der dort lebenden Menschen und für eine weitere Stabilisierung des Landes - mit Unterstützung deutscher Bundeswehrsoldaten und Polizisten.

"Mussten gehen, um zu überleben"

"Ich würde gern eine Stunde mit einem deutschen Soldaten - ohne Waffe - durch Kabul laufen", sagt Afzali. Sollte dazu einer bereit sein, er bliebe für immer in Afghanistan. Es habe Streit gegeben in seiner Familie, ein Onkel habe einen Cousin seines Vaters umgebracht, dessen Sohn rächte sich, zwölf Jahre später. Und zwölf Jahre alt war Afzali, als sein Vater gesagt habe: Du musst gehen, mit deinem jüngeren Bruder, um zu überleben. "Vergessen gibt es nicht in Afghanistan", sagt er. Sein erster Versuch endet in einem iranischen Gefängnis und letztlich zurück in Afghanistan. Der zweite Versuch beginnt 2008, endet nach zwei Jahren Flucht in München.

"Wenn man hier in Deutschland jemandem sagt: Du hast da 'was auf der Nase, dann sagt der Danke, und macht so - " Afzali lächelt und wischt sich kurz über die Nase. "Wenn man das in Afghanistan sagt, heißt es: Was willst du?" Der junge, dünne Mann keift, als er das nachahmt, seine Augenbrauen ziehen sich finster zusammen. Die Taliban haben das Land verhärtet.

Jeden Tag könnte er auf der Straße erschossen werden, befürchtet Afzali. "Niemand fragt dort: Wer war das?" In Deutschland sei es so: "Hier können Frauen spät in der Nacht auf der Straße gehen und es ist nicht gefährlich", sagt er. "Und hier habe ich gelernt: Mein Leben ist mein Leben. Mein Cousin ist mein Cousin." Hier ist die Rachekette unterbrochen. In seinem Dorf in Afghanistan habe jeder Mann eine Kalaschnikow. Afzali zeigt Fotos seiner Verwandten. Sie stehen zwischen Steinen, jeder trägt eine Waffe. "Hier sind alle immer so: bitte und danke", sagt Afzali über Deutschland. "Was wäre ich in Afghanistan? Hier bin ich wie ein normaler Mensch."