Sogar die größten Europa-Optimisten sehen dem kommenden Jahr mit Spannung entgegen. Mit Wahlen in Frankreich und Deutschland und dem Start der Brexit-Verhandlungen wird 2017 zu einem entscheidenden Jahr für die EU werden: Die Auseinandersetzung zwischen pro- und anti-europäischen Kräften dürfte an Schärfe zunehmen, getrieben von der Frage, ob die EU noch gemeinsame Antworten auf viele Krisen hat.

Niederlande wählen im März

Den Auftakt zu den europäischen Wahlen im kommenden Jahr machen die Niederlande, wo am 15. März ein neues Parlament gewählt wird. Nach einer aktuellen Umfrage, die der Sender NOS veröffentlichte, kann die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders mit dem ersten Platz vor der liberalen VVD von Regierungschef Mark Rutte rechnen. Wilders kämpft für einen EU-Austritt der Niederlande ("Nexit") nach britischem Vorbild - im Unterschied zu Großbritannien sind die Niederlande ein EU-Gründungsstaat und auch in der Währungsunion verankert. Dennoch gilt es als extrem unwahrscheinlich, dass Wilders Premier wird. Keine der großen Parteien will mit seiner PVV zusammenarbeiten.

Frankreich: Stichwahl im Mai

In Frankreich hat sich die Chefin der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, die "Zerstörung der EU" auf die Fahnen geschrieben. Nach einer ersten Runde werden Le Pen große Chancen eingeräumt in die Stichwahl im Mai zu kommen. Doch nicht Le Pen wird laut Umfragen von den Franzosen derzeit als Favorit für den Sieg der Präsidentschaftswahl gesehen, sondern der konservative Präsidentschaftskandidat Francois Fillon. Sowohl Le Pen als auch Fillon gelten als Russland-freundlich, und es ist aus heutiger Sicht nicht klar, ob die im Juli auslaufenden EU-Wirtschaftssanktionen gegen Moskau wieder verlängert werden.

Deutsche Sicherheitsbehörden befürchten, dass Russland über Desinformationen und Manipulationen in die deutsche Bundestagswahl im September zu Ungunsten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingreifen könnte, und damit auch maßgeblich auf die EU-Politik Einfluss nehmen will. Merkel hat sich nach langem Ringen für eine vierte Kanzlerkandidatur entschieden. Es ist unklar, ob sie den Urnengang unbeschadet überstehen wird.

Auch abseits der Wahlen kommen neue Akteure: Am 1. Jänner übernimmt mit Malta das nach Fläche und Bevölkerung kleinste EU-Land die halbjährliche EU-Ratspräsidentschaft von der Slowakei. Für den südeuropäischen Inselstaat ist es der erste EU-Vorsitz. Auch Estland, das ab 1. Juli den EU-Vorsitz führt, ist es eine Premiere. Am 17. Jänner wählt das Europaparlament einen Nachfolger des scheidenden Präsidenten, des deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz. Die besten Karten haben derzeit zwei Italiener: Der Kandidat der konservativ-christdemokratischen EVP, Antonio Tajani, und der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pitella kämpfen beide um das Amt. Keiner von beiden gilt als ähnlich charismatisch wie Schulz. Als wahrscheinlich gilt hingegen, dass die Amtszeit von EU-Ratspräsident Donald Tusk im Mai für weitere zweieinhalb Jahre verlängert wird.

Die Malteser stehen der EU positiver als die Slowaken gegenüber. Als "Frontstaat" im Mittelmeer will Malta auf mehr tatsächliche Solidarität der EU-Staaten bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise dringen. Mit ihrem Konzept einer flexibleren Solidarität ohne verpflichtende Quoten ist die slowakische EU-Präsidentschaft bisher nicht weit gekommen. Die Flüchtlingskrise ist nicht gelöst, die Grenzkontrollen im Schengen-Raum sollen im Februar weiter verlängert werden. Ein erster Test steht mit dem informellen Malta-Gipfel am 3. Februar an, nach dem Bratislava-Gipfel vom September ein weiteres Treffen der 27 EU-Staaten ohne Großbritannien.

Briten stellen Ende März EU-Austrittsantrag

Wenn Großbritannien Ende März den formellen EU-Austrittsantrag stellt, beginnt der Ernst der Verhandlungen und die Uhr für eine zweijährige Frist bis zum Austritt zu ticken. Der EU-Chefverhandler Michel Barnier hat jedoch bereits klar gemacht, dass für die eigentlichen Gespräche nur 18 Monate Zeit sein wird. Dies setzt die Briten enorm unter Druck, den London wird zusätzlich zu den Austrittsverhandlungen auch so rasch wie möglich sein künftiges Verhältnis zur EU und zum Binnenmarkt klären müssen, um die wirtschaftlichen Risiken des Brexit so gering wie möglich zu halten. Das Finale der Brexit-Verhandlungen dürfte in die zweite Jahreshälfte 2018 unter österreichischem EU-Vorsitz fallen.

Ob beim geplanten EU-Gipfel am 25. März in Rom zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge - dem Gründungsakt der Gemeinschaft - Feierstimmung aufkommt, wird wohl auch von externen Faktoren abhängen. Der neue US-Präsident Donald Trump muss sein Verhältnis zu Europa erst definieren, bisher ging er freundschaftlich auf EU-Kritiker wie den tschechischen Staatspräsidenten Milos Zeman und Ungarns Premier Viktor Orban zu. Aber auch die weiteren Entwicklungen in der Türkei, in Syrien und der radikal-islamische Terrorismus dürften Europa weiter zu neuen Herausforderungen antreiben.