In Emmerich in Nordrhein-Westfalen wird eine Flüchtlingsunterkunft von der deutschen Polizei umstellt, in Düsseldorf ein Kaufhaus. Die europaweite Jagd auf Anis Amri ist in vollem Gange. Wer ist der Mann, der im Verdacht steht, am Montagabend den Lastwagen auf den Berliner Weihnachtsmarkt gelenkt und so zwölf Menschen getötet sowie rund 50 verletzt zu haben?
Woher kommt er?
Amri wuchs in der nordöstlichen tunesischen Provinz Kairouan auf, einer Salafisten-Hochburg. Er war nach Angaben aus tunesischen Sicherheitskreisen in seiner Heimat mehrfach wegen Drogendelikten festgenommen worden. Ende 2010 sei er von Tunesien nach Italien gelangt. Dort soll er in einem Auffanglager für Minderjährige auf Sizilien untergebracht worden sein, das er berichten zufolge angezündet haben soll. Danach sei er vier Jahre in Italien im Gefängnis gesessen.
Seit wann ist er in Deutschland?
Im Juli 2015 ist Amri nach Deutschland weitergereist. Er sei "hochmobil" gewesen, berichtet Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD). Er tauchte zunächst in Freiburg in Baden-Württemberg auf, dann in Nordrhein-Westfalen und Berlin - dort habe er seit Februar 2016 überwiegend gelebt.
Wie ist sein Status?
Sein Asylantrag war im Juni dieses Jahres vom zuständigen Bundesamt abgelehnt worden, die Behörden in Kleve (NRW) betrieben seine Ausweisung. "Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte", sagt Jäger. Tunesien habe zunächst bestritten, dass es sich um seinen Staatsbürger handele.
Schließlich stellte das nordafrikanische Land aber doch Ersatzpapiere aus - sie seien an diesem Mittwoch eingetroffen - zwei Tage nach dem Anschlag. "Ich will diesen Umstand nicht weiter kommentieren", sagt der NRW-Innenminister. Er hatte zuvor bereits mehrfach beklagt, wie schwierig es ist, nordafrikanische Straftäter in ihre Heimatländer abzuschieben.
Was weiß man über Amri?
Dem Geburtsdatum zufolge, dass für ihn angegeben ist, wird er an diesem Donnerstag 24 Jahre alt. Zuletzt tauschten sich die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern im November im Terrorismusabwehrzentrum in Berlin über ihn aus. Er verwendete mehrere Alias-Namen und wurde von mehreren Behörden als islamistischer Gefährder beobachtet. Er habe Kontakt zur radikal-islamistischen Szene gehabt, berichtet Innenminister Jäger. Die "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR berichteten von Kontakten zum Netzwerk des kürzlich verhafteten Hildesheimer Salafisten-Predigers Abu Walaa, laut Jäger der "Chefideologe" der Salafisten-Szene.
In Berlin war vom dortigen Generalstaatsanwalt gegen Amri ermittelt worden - wegen Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat. Initiiert worden sei dies vom Landeskriminalamt NRW, sagt Jäger. Das Verfahren sei möglicherweise zwischenzeitlich eingestellt worden, berichten Ermittler. Laut einer Erklärung der Justiz wurde Amri von März bis September überwacht, es habe jedoch keine Hinweise auf terroristische Aktivitäten gegeben.
Wie stark ist der Verdacht?
Amris Papiere lagen im Fußraum des Lastwagens, der für den Anschlag benutzt wurde. Entscheidend ist, wie sie dorthin kamen: Wurden sie - quasi als Bekenntnis - absichtlich dorthin gelegt? Verlor Amri sie im Kampf mit dem polnischen Lastwagenfahrer? Wurden sie gestohlen und dort platziert, um eine falsche Fährte zu legen? "Die Tatbeteiligung ist überhaupt nicht geklärt", sagt Jäger.
Gibt es Parallelen?
Ermittler sehen auffällige Parallelen zum Fall von Tarik B. Der Tunesier war im Alter von 24 Jahren im vergangenen Jänner in Paris von der Polizei erschossen worden, als er Polizisten mit einem Schlachterbeil und dem Ruf "Allah ist groß" angriff. Der Asylbewerber kam damals aus einer Unterkunft in Recklinghausen. Er hatte in sieben europäischen Ländern Asylanträge gestellt und 20 verschiedene Identitäten vorgetäuscht.