Recep Tayyip Erdogan ist keiner, der einfach aufgibt. Wie der türkische Präsident selbst gerne betont, hat er bereits als Kind im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa lernen müssen, sich durchzuschlagen, einzustecken, aber auch auszuteilen. Die harte Erfahrung als Straßenverkäufer, der mit dem Verkauf von Sesamkringeln das magere Einkommen der Familie aufbessern musste, habe ihn kämpfen gelehrt...
...und ihm beim Aufstieg zur Macht wohl auch den nötigen Biss gegeben. Dass er sich durch Rückschläge nicht entmutigen lässt, hat der Vollblutpolitiker, der sich bereits als Student in die Politik stürzte, in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt. Nachdem er nach elf Jahren als Regierungschef im August 2014 als erster Präsident der Türkei in direkter Wahl an die Staatsspitze gewählt wurde, hatte er sich daran gemacht, seinen lange gehegten Traum von der Einführung eines Präsidialsystems umzusetzen.
Durch eine Reform der Verfassung wollte Erdogan das bisher vorwiegend repräsentative Amt des Präsidenten aufwerten und so seine eigene Macht langfristig sichern. Die Pläne spalteten jedoch das Land, dass ohnehin bereits seit der Niederschlagung der Proteste im Istanbuler Gezi-Park im Juni 2013 polarisiert war. Hinzu kamen Korruptionsvorwürfe gegen führende Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld Erdogans Ende 2013.
Hatten ihm bis dahin auch seine Gegner zugute gehalten, das Land vom Rande des Ruins in der Finanzkrise 2001 zu beispiellosem Wachstum geführt und zu einem bedeutenden politischen Akteur in der Region gemacht zu haben, mehrte sich nun die Kritik. EU-Politiker, die Erdogan ungeachtet seines oft polternden Auftretens wegen seiner demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen schätzten, warnten besorgt vor einem Abgleiten in den Autoritarismus.
Obwohl Erdogan als Präsident eigentlich zur Neutralität verpflichtet war, brachte er sich vor der Parlamentswahl im Juni 2015 massiv in den Wahlkampf ein, um für sein Projekt eines Präsidialsystems zu werben. Doch vergebens: Bei der Wahl verlor seine islamisch-konservative Partei für Entwicklung und Gerechtigkeit (AKP) erstmals seit 2002 ihre absolute Mehrheit im Parlament. Plötzlich war sie zur Bildung einer Regierung auf Partner angewiesen.
Mit ein Grund für die Niederlage war der Erfolg der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), die erstmals die Zehn-Prozent-Hürde überwand. Statt jedoch das Votum der Wähler als Warnung zu verstehen und sich auf einen Kompromiss mit der Opposition einzulassen, setzte Erdogan darauf, durch einen Kurs der Härte gegenüber den Kurden bei Neuwahlen die Mehrheit für seine Partei zurückzuholen.
Während der Konflikt mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nach zweijähriger Waffenruhe einen neuen blutigen Höhepunkt erreichte, setzte Erdogan verstärkt auf nationalistische Rhetorik. Bei den Neuwahlen im November 2015 gelang es ihm damit tatsächlich, die Mehrheit zurückzugewinnen. Doch der Preis war nicht nur die Eskalation des Kurdenkonflikts, sondern allgemein eine Vertiefung der politischen Gräben im Land.
Wie sich beim versuchten Militärputsch Mitte Juli zeigte, reichten die Verwerfungen tief in Erdogans eigenes Lager, war doch der islamische Prediger Fethullah Gülen, den die Regierung für den Umsturzversuch verantwortlich macht, lange ein enger Verbündeter der AKP. Dank der Unterstützung seiner Anhänger auf den Straßen überstand Erdogan zwar den Putschversuch, doch zeigte dieser, wie prekär seine Macht ist.
Seit der Verhängung des Ausnahmezustands sucht Erdogan durch die Entlassung zehntausender mutmaßlicher Gülen-Anhänger aus dem Staatsdienst sowie durch die Schließung der letzten kritischen Medien seine angeschlagene Position wieder zu festigen. Mit der lange diskutierte Reform der Verfassung will der 62-Jährige nun erreichen, wovon er seit Jahren träumt: Zum hundertsten Jubiläum der Republik-Gründung 1923 der unangefochtene Präsident der Türkei zu sein.
Von Ulrich von Schwerin/AFP