Im Dauerstreit mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Flüchtlingspolitik ist der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer einer neuen Eskalation unmittelbar vor dem CDU-Parteitag aus dem Weg gegangen. Er vertagte einen für Montag geplanten neuen Vorstandsbeschluss mit der Forderung nach einer Obergrenze auf kommendes Jahr.
Seehofer bekräftigte zwar unmissverständlich die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für neu eintreffende Flüchtlinge: "Wir haben die ausführlich diskutiert, beschlossen, und es bleibt dabei. Das ist ja eine Frage der Glaubwürdigkeit einer Partei", sagte er vor einer CSU-Vorstandssitzung in München. Einen neuerlichen Vorstandsbeschluss, mit dem die Forderung noch einmal schwarz auf weiß festgeschrieben werden soll, vertagte der Parteichef aber kurzerhand und entgegen den jüngsten Planungen auf 2017.
Seehofer begründete dies damit, dass er nach dem gewaltsamen Tod einer Studentin in Freiburg, bei dem ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling tatverdächtig ist, das Papier noch einmal ergänzen wolle. Dass die Entscheidung mit dem bevorstehenden CDU-Parteitag zu tun haben könnte, wies er mit einem Schmunzeln zurück: "Wir leben im Zeitalter der Deutungen - das kann ich Ihnen nicht verwehren."
Die CSU feierte am Montag in einem Teilbereich einen Erfolg: Bayerische Polizisten werden nun doch für Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze eingesetzt. Nach langem Hickhack hat der Bund ein entsprechendes Hilfsangebot aus Bayern angenommen - dies war bisher konsequent abgelehnt worden.
Folgen für Autofahrer zu spüren
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach angesichts des Schwenks der deutschen Bundesregierung von einem "klaren Erfolg". Die Folgen bekommen Autofahrer zu spüren. Sie müssen sich vom 15. Dezember an auf Rund-um-die-Uhr-Kontrollen an drei Autobahn-Grenzübergängen einstellen: auf der A3 bei Passau, der A8 bei Salzburg und der A93 bei Kufstein. "Wenn Grenzkontrollen stattfinden, sollen sie auch richtig stattfinden", sagte Herrmann.
An der Forderung nach einer Obergrenze von maximal 200.000 neuen Flüchtlingen pro Jahr halten Seehofer und die CSU aber unnachgiebig fest - ungeachtet von Merkels entschiedenem Widerstand. "Das wäre mit Abstand der größte Fehler und würde uns am meisten schaden, wenn wir jetzt Positionen, die wir seit langem vertreten, aufgeben würden", sagte Seehofer. Ihre Position habe die CSU auf ihrem Parteitag klar beschlossen, und er halte die Forderung "auch von der Sache her für dringend geboten". "Sonst wird uns die Bevölkerung den Satz 'Das vergangene Jahr soll sich nicht wiederholen' nicht abnehmen." Seehofer begründete die Forderung zudem damit, dass beispielsweise der Schutz der EU-Außengrenzen und die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union noch immer nicht funktionierten.
Ziel der Schwesterparteien CDU und CSU bleibt, ihren Dauerstreit über die Flüchtlingspolitik bei einem Spitzentreffen im Februar zu beenden. Da aber im Streit über die Obergrenze weder Merkel noch die CSU nachgeben dürften, wird allgemein erwartet, dass die CSU diesen Punkt in einem eigenen, neuen "Bayernplan" verankern wird - also abseits eines gemeinsamen Wahlprogramms der beiden Unions-Parteien.