Ob sich Angela Merkel gerade jetzt an den Tag ihres bis dahin größten Triumphs erinnert? Die deutsche Kanzlerin steht am Rednerpult des 29. CDU-Parteitags in der Grugahalle in Essen und biegt gut gelaunt die Mikrofone zurecht. Beim traditionellen Hallenrundgang vor dem offiziellen Start des Delegiertentreffens am Dienstag macht sie den Soundcheck.

Auf dem grauen Banner in ihrem Rücken prangt in großen weißen Buchstaben das Motto: "Unsere Werte. Unsere Zukunft." Vor bald 17 Jahren hatten die meisten Delegierten die heute 62-Jährige hier in der Halle nach ihrer ersten Wahl zur Parteichefin als Hoffnungsträgerin gefeiert. 95,9 Prozent hatte sie bekommen. Ihr Satz "Wir sind wieder da!", war im Jahr 2000 das eigentliche Motto des Parteitags. Nach der Nationalhymne dröhnte zum Abschluss der Rolling-Stones-Song "Angie" durch die Halle.

Jetzt antwortet Merkel gewohnt nüchtern auf die Frage nach ihren Gefühlen. Ob sie an die geschichtsträchtige Zeit hier in der Halle zurückdenkt? "Meistens denke ich nach vorne, weil wir noch sehr viele Aufgaben zu lösen haben. Aber natürlich ist mir bewusst, dass wir vor knapp 17 Jahren hier in Essen waren, nach einer sehr schwierigen Zeit." Damals steckte die CDU noch tief in der Spendenaffäre.

"Viel zu tun"

Die Vorsitzende verbindet mit ihrer Antwort gleich eine Botschaft: "Damals hatten wir das Motto "Zur Sache" und sind zur Sacharbeit zurückgekehrt", sagt sie. "Der jetzige Parteitag ist ein Beleg dafür, dass wir in der Regierungsverantwortung, in der wir damals nicht waren, weiterhin an der Sache arbeiten müssen." Die gute wirtschaftliche Lage sei eine Momentaufnahme. "Wir müssen für die Zukunft arbeiten. Und da haben wir noch viel zu tun." Punkt.

Ob Merkel für viele der 1001 Delegierten bei der Bundestagswahl 2017 erneut die Frau der Hoffnung ist, hängt ganz wesentlich von ihrer Rede am Dienstag ab. Danach wird sich wohl schon am Beifall ablesen lassen, ob sie Herz und Verstand der Parteifreunde im Saal wieder erreicht hat. Am Nachmittag dann wird das Ergebnis ihrer Wiederwahl ein Zeichen dafür sein, wie sehr die eigene Partei noch hinter der Kanzlerin steht - trotz Unmuts über ihre Flüchtlingspolitik. Wird sie den nötigen Rückenwind für ihre vierte Kanzlerkandidatur bekommen?

Kritik auch von engen Verbündeten

Denn nicht nur CSU-Chef Horst Seehofer, auch in der Kanzlerinnen-Partei geben viele ihrem Kurs der Offenheit zu Beginn der Flüchtlingskrise die Schuld am Erstarken der Alternative für Deutschland. Da interessiert meistens gar nicht, dass Merkel ihre Haltung in der Flüchtlings- und Asylpolitik stark verschärft hat. Und auch auf dem Parteitag weiter verschärfen will, mit umstrittenen Forderungen ihres Parteivizes Thomas Strobl aus Baden-Wüttemberg.

Dennoch wird im Wahljahr 2017 das Verhältnis der Schwesterparteien erst einmal angespannt bleiben. Über einen gemeinsamen Wahlkampf wollen CDU und CSU erst Anfang kommenden Jahres beraten.

Für Merkel ist Essen aber nicht nur wegen der Flüchtlingspolitik und der CSU wieder so etwas wie ein Schicksals-Parteitag. Der mächtigsten Frau der Welt kommen international immer mehr Verbündete abhanden - am Sonntag der italienische Regierungschef Matteo Renzi nach dessen Niederlage bei seinem Verfassungsreferendum. In den USA übernimmt demnächst der unberechenbare Donald Trump die Macht. Und auch in Deutschland haben Rechtspopulisten von der AfD Konjunktur.

Erleichtert nach Sieg Van der Bellens

Merkel kommt mit einem Signal der mehrfachen Spaltung aus Italien und Österreich nach Essen. Zwar reagierte sie erleichtert auf den Sieg des ehemaligen österreichischen Grünen-Chefs Alexander Van der Bellen bei der Bundespräsidentenwahl im Nachbarland. Aber sie weiß, wie schwer es jetzt für Van der Bellen wird, die österreichische Gesellschaft nach diesem harten Wahlkampf wieder zusammenzuführen. Das Land ist gespalten, der Rechtspopulist Norbert Hofer von der FPÖ kam auf 48,3 Prozent. Auch für Merkel ein Alarmsignal.

Und dann in der Nacht auf Montag auch noch Renzi. Die Kanzlerin hatte in ihm schon einen Hoffnungsträger für das notorisch instabile italienische Regierungssystem gesehen, als er noch Bürgermeister von Florenz war. Gerne hätte sie den jungen Italiener und seine Regierung nach dem Beschluss der Briten zum Ausstieg aus der Europäischen Union stärker in die Achse ihrer Verbündeten einbezogen. Nicht ohne Grund hatte sie Renzi 2016 mehrfach zu internationalen Treffen eingeladen.

Bedauern nach Renzis Rücktritt

Nach dem Scheitern von seinem Verfassungsreferendum bedauerte Merkel den angekündigten Rücktritt von Renzi. Doch schon bei Obamas Abschiedsbesuch in Berlin hatte sie Pragmatismus präsentiert: Auf die Frage, ob ihr der Abschied von diesem Ausnahmepolitiker schwer falle, bekannte sie zwar: "Na klar. Wenn man mit jemandem gut zusammengearbeitet hat, dann fällt der Abschied auch schwer." Aber schließlich sei man ja Politiker, fügte sie ziemlich trocken hinzu. "Und Demokratie lebt vom Wechsel." Auch für Merkel selbst gilt vor der Bundestagswahl: Es geht um ihre Zukunft. Ausgang offen.