Das höchste britische Gericht muss ab diesen Montag die Mitspracherechte des Parlaments für die Brexit-Verhandlungen mit Brüssel klären. Elf Richter des Supreme Courts in London sollen entscheiden, ob Premierministerin Theresa May tatsächlich die Zustimmung des Parlaments vor den EU-Austrittsverhandlungen einholen muss.
Genau das hatte der High Court in seinem Urteil vom 3. November bejaht und so Mays Regierung aufgeschreckt. Denn ein Mitspracherecht des Parlaments könnte den Brexit-Fahrplan erheblich verzögern und auch Einfluss auf die Verhandlungsstrategie haben.
Die Anhörung vor dem Supreme Court (Obersten Gerichtshof) soll vier Tage dauern und wird auf der Webseite des Gerichts live übertragen. Das Urteil soll nicht vor Weihnachten fallen, auch Mitte Jänner wird als möglicher Termin genannt. Politiker sind nervös, die Stimmung ist zuweilen aufgeheizt. Der Supreme Court betonte, nur nach dem Gesetz und nicht nach politischen Gesichtspunkten zu urteilen. Zuvor waren die Richter des High Courts, die sich für ein Mitspracherecht ausgesprochen hatten, als "Feinde des Volkes" beschimpft worden.
Labour-Parteichef Jeremy Corbyn kündigte in einem Interview des Nachrichtensenders Sky News am Wochenende Nachbesserungen beim möglichen Brexit-Gesetz an, falls der Supreme Court dem Parlament weitreichende Mitspracherechte einräumen sollte. So könnten der Zugang zum europäischen Binnenmarkt gewährleistet und die Rechte von Arbeitnehmern und der Schutz der Umwelt gesichert werden.
Nicht alle Verbindungen zur EU kappen
"Wir respektieren das Ergebnis des Referendums", betonte Corbyn. Aber es sei nicht hinnehmbar, dass viele Konservative alle Verbindungen zur EU kappen wollten. "Das Ergebnis wären geringere Löhne und weniger öffentliche Ausgaben und schließlich ein großer Rückgang des Lebensstandards in Großbritannien", sagte Corbyn.
Selbst aus den Reihen der Konservativen gab es am Sonntag Warnungen an May: Sie könnte mit einem "harten Brexit" viele Mitgliedern der eigenen Partei vor den Kopf stoßen und die nächsten Wahlen verlieren, schrieb eine Gruppe von Parlamentariern in der Zeitung "The Observer". Denn auch bei den Konservativen gebe es Brexit-Gegner. Die "Sunday Times" schrieb, dass May nun eine Art "grauen Brexit" anstrebe, um alle Parteimitglieder zufriedenzustellen. Für entsprechende Pläne habe sie grünes Licht gegeben.
Am 23. Juni hatten die Briten mit knapper Mehrheit für einen Austritt ihres Landes aus der EU gestimmt. May will den Austritt bis Ende März erklären, um dann mit den Verhandlungen beginnen zu können.
Sollte sich auch der Oberste Gerichtshof für ein Mitspracherecht des Parlaments entscheiden, könnte dieser Fahrplan eventuell nicht mehr einzuhalten sein. Brexit-Befürworter warnen außerdem davor, dass eine Beteiligung des Parlaments die Verhandlungsstrategie der Regierung beeinflussen könnte - sie fürchten einen "weichen", EU-nahen Brexit, der den Zugang zum Binnenmarkt über die Kontrolle der Grenzen stellt.
Manche befürchten sogar, dass der Ausstieg des Landes aus der Europäischen Union ganz vereitelt werden könnte - was aber als sehr unwahrscheinlich gilt. Die Mehrheit der Abgeordneten in beiden Kammern gilt als Brexit-Gegner.
May hatte eine Abstimmung im Parlament über den Beginn der Austrittsverhandlungen gemäß Artikel 50 des Lissabon-Vertrags bisher ausgeschlossen. Das sei "ausschließlich Sache der Regierung". Das Parlament werde aber "zu Wort kommen", hatte sie angekündigt.