Am kommenden Sonntag winkt den Separatisten bei den katalanischen Regionalwahlen, die als Ersatz für das im November verbotene Unabhängigkeitsreferendum gelten, eine absolute Mehrheit. Dabei war die Unabhängigkeitsfrage für die meisten Katalanen lange nur ein Randthema.

Traditionell sprach sich lediglich ein Drittel der Katalanen für die Abspaltung ihrer Region von Spanien aus. Was ist passiert? Warum sehnen sich auf einmal so viel mehr Katalanen nach der Unabhängigkeit von Spanien?

Ein Grund ist die Wirtschaftskrise: Auch Katalonien, Spaniens wirtschaftsstärkste Region, wird davon seit 2008 hart getroffen. Die Arbeitslosigkeit stieg - wie im restlichen Spanien - auch hier auf 25 Prozent. Fragt man die Katalanen danach, was ihnen wirklich Sorgen bereitet, werden die meisten also nicht die Unabhängigkeit nennen, sondern Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise.

"Der separatistischen Bewegung ist es in Katalonien allerdings gelungen, die Menschen davon zu überzeugen, dass vor allem die Politik und die fehlenden Investitionen der spanischen Zentralregierung in Katalonien Schuld daran sind, dass sich die Lage nicht verbessert und die Lösung sämtlicher Probleme in der staatlichen Selbstständigkeit liegt", versichert der spanische Wirtschaftsexperte Jose Piquer von der Madrider IE University im APA-Gespräch. Die Separatisten hätten die Wirtschaftskrise geschickt mit der nationalen Identität verknüpft, meint Piquer.

Viel zerbrochenes Porzellan

Politisch war es vor allem das Verhalten der konservativen Volkspartei (Partido Popular), welches den katalanischen Separatisten massenhaft Sympathisanten in die Armen trieb. Noch in der Opposition attackierte die heute regierende Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy ein neues Autonomie-Statut für Katalonie, das zuvor in einem Referendum von den Katalanen und der Mehrheit des spanischen Parlaments abgesegnet worden war. Die Richter gaben einer Klage beim Verfassungsgerichtshof 2010 statt, da in der Präambel Katalonien als Nation bezeichnet wurde. Sie kippten das gesamte Statut, das Kataloniens Autonomie- und Steuerrechte deutlich verbessert hätte.

Dieser Moment war für viele Katalanen ein Wendepunkt. Selbst Nicht-Separatisten forderten auf einmal ein Unabhängigkeitsreferendum, ohne vielleicht direkt die Abspaltung von Spanien zu wünschen. Es war zu Anfang aber mehr eine "Anti-Madrid"-Stimmung, wo seit 2011 die Konservativen in der Regierung sitzen und jeglichen Dialog mit Katalonien selbst über die Durchführung eines Referendums, geschweige denn über die Unabhängigkeit, abblocken.

"Die spanische Regierung hat nichts unternommen, um die empörte katalanische Gesellschaft zu beruhigen. Politische Alternativen wie eine Verfassungsreform hin zu einem echten Föderalstaat oder eine neue Verteilung der Steuermittel gab es nicht. Selbst in der Sprachpolitik ist Madrid den Katalanen kaum entgegengekommen", erklärt der katalanische Politologe Jaume Lopez im APA-Gespräch die Radikalisierung der Gesellschaft.

Der Madrider Politologe Lluis Oriolls gibt allerdings zu Bedenken, dass auch Kataloniens Regionalregierung nicht weniger stur ist. Barcelona gebe sich dialogbereit, will aber nur über das Referendum und die Unabhängigkeit reden, welche Madrid als verfassungswidrig ablehnt. Auch Jordi Sanchez, Vorsitzender der Katalanischen Nationalversammlung ANC, neben den separatistischen Parteien die vielleicht wichtigste treibende Kraft hinter der Unabhängigkeitsbewegung, gab im APA-Gespräch zu: "Der Zug für Verhandlungen über mehr Autonomierechte ist abgefahren. Die Leute geben sich nicht mehr mit kleinen Geschenken zufrieden. Wir wollen die Unabhängigkeit."

Eigene Traditionen

Zweifelsohne gibt es viele Katalanen, die sich nicht als Spanier fühlen - vor allem im ländlichen Hinterland. Hier sprechen die Menschen im Alltag fast ausschließlich Katalanisch und nicht Spanisch. Die Katalanen haben auch ihre eigenen Traditionen, ihre eigene Kultur.

Die Zuspitzung der politischen Wortgefechte zwischen Madrid und Barcelona, aber auch eine seit vier Jahren permanent durchgezogene separatistische Dauerpropaganda haben Wirkung gezeigt. Vor allem viele Jugendliche folgen der separatistischen Mainstream-Meinung. Es ist Mode, Separatist zu sein.

Separatistische Bürgerinitiativen sind landesweit gut organisiert und werden von der nationalistischen Regierung unterstützt. So gelingt es der ANC auch seit vier Jahren, jährlich zum Nationalfeiertag, der Diada, weit über eine Million Menschen für die Unabhängigkeitsmärsche zu mobilisieren. Viele Menschen folgen der Masse.

Der Politologe Oriolls ist davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Katalanen nicht für die Trennung von Spanien ist, wohl aber für das Recht, ein Referendum darüber abhalten zu dürfen. Am 27. September werden sich die Mehrheitsverhältnisse bei den plebiszitären Regionalwahlen zeigen.