Er teile die Meinung von EU-Abgeordneten, dass "wir im Dschungel" leben und bei Steuerthemen für mehr Transparenz sorgen müssten. Aber "ich habe in Luxemburg (als früherer Finanzminister bzw. Premier, Anm.) kein System der Steuerhinterziehung oder -hintertreibung oder -vermeidung zu Lasten anderer EU-Staaten erfunden. Sie überschätzen meine Talente", so der launige Kommissionspräsident am Donnerstag.
Er hätte das überhaupt nicht machen können. "Luxemburgs Steuerverwaltung bringt die bestehenden Gesetze zur Anwendung, ohne dass Finanzminister oder Premier darauf Einfluss gehabt hätten. Luxemburg ist ein Rechtsstaat", sagte Juncker. Die Steuerbeamten in Luxemburg "sind sehr allergisch gegen ministerielle Einflussnahme". Wäre dies geschehen, wäre es nach drei Tagen in der Zeitung gestanden, "in anderen Ländern dauert das wesentlich länger. In Luxemburg ist das nie in der Zeitung gestanden, weil ich mich nie derart benommen habe".
Juncker wies auch entschieden zurück, mit internationalen Steuerberatungsgesellschaften zusammengetroffen zu sein. "Das habe ich nie gemacht. Das ist nicht mein Umgang gewesen. Mit mir nie". Denn "ich lasse mir die Steuerpolitik nicht von Beratungsgesellschaften ins Logbuch diktieren".
Einem EU-Abgeordneten, der ihm vorwarf, sich nicht mehr erinnern zu können, wer 2005 gegen seinen Vorschlag gewesen sei, ein Steuerkomitee ähnlich dem Wirtschafts- und Währungsausschuss vorzuschlagen, entgegnete Juncker: "Ihnen fehlt der Sinn für Humor. Was ich damit sagen wollte, war, im Klartext war niemand dafür. Deswegen habe ich die Formel gewählt, ich kann mich nicht erinnern, wer dafür oder dagegen ist. Es war nur einer dafür, das war ich. Das reicht nicht."
Dass er sich in der Lux-Leaks-Affäre nicht an Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gewandt habe, liege darin, dass er ihr "nicht ins Gehege" kommen wolle. "Ich weigere mich, Vestager Anweisungen zu geben und würde mich nie erdreisten, ihr ins Geschäft zu pfuschen." Er sei aber damit einverstanden, dass in Steuerfragen auch die staatliche Beihilfenfrage dazu kommen. Auch steuerliche Vorteile "können sich als unerlaubte staatliche Beihilfe entpuppen". Deshals sollte man "Steuer- und Beihilfenrecht miteinander schnittmengenartig in Kombination bringen".
In der großen Debatte über umstrittene Steuervorteile für Konzerne in EU-Staaten dürfte es keine Gesetzesverletzungen gegeben haben. Der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, erklärte am Mittwoch in Brüssel, legal gebe es eine weiße Weste für sämtliche Staaten, "moralisch nicht, aus EU-Sicht auch nicht". Es dürfe keine Gesetzesverletzungen gegeben haben. Der ÖVP-Delegationsleiter forderte ein Mehrpunkte-Programm zur Verbesserung der Situation. Österreich ist eines von sechs EU-Ländern, die bisher die Fragen zu Steuervorbescheiden ("Tax Rulings") nicht beantwortet hat. Karas habe daraufhin Finanzminister Hans-Jörg Schelling (ÖVP) informiert und erwartet die Antwort "in den nächsten Stunden".
EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici kündigte an, dass der nächste Finanzministerrat am 6. Oktober bereits einen Richtlinienvorschlag über Steuervorbescheide verabschieden werde, damit es Anfang 2016 zur Umsetzung kommt. Man dürfe hier nicht auf die OECD warten. Außerdem sei eine gemeinsame Bemessungsgrundlage bei den Unternehmenssteuern notwendig.
EU-Wettbewerbskommissarin Vestager plant indessen keine unmittelbaren weiteren Untersuchungen zu Steuervereinbarungen zwischen Unternehmen und EU-Staaten. Wenn es Anhaltspunkte für neue Fälle gebe, werde ihre Behörde tätig werden, sagte Vestager am Donnerstag vor Journalisten in Brüssel. "Aber da sind wir noch nicht." Sie relativierte damit vorherige eigene Aussagen vor dem Sonderausschuss des Europaparlaments zur Lux Leaks-Affäre. Dort hatte sie weitere Verfahren in Aussicht gestellt und von Beweisen gesprochen, wonach bestimmte Steuervorbescheide den Wettbewerb beeinträchtigten.
Im Jahr 2014 hatte ein internationales Recherchenetzwerk detailliert über Hunderte Fälle berichtet, in denen multinationale Konzerne in Luxemburg auf Kosten anderer EU-Länder Steuerzahlungen vermieden. Die Affäre brachte Juncker unter Druck. Der Christdemokrat war fast zwei Jahrzehnte lang Finanzminister und Regierungschef Luxemburgs und wird für die Steuerpraktiken des Großherzogtums mitverantwortlich gemacht.
Derzeit nehmen die Brüsseler Wettbewerbshüter Steuerdeals von Amazon und Fiat in Luxemburg, Apple in Irland sowie Starbucks in den Niederlanden unter die Lupe. Wegen günstiger Steuer-Deals zahlen Großkonzerne auf ihre in der Europäischen Union erzielten Gewinne oft nur minimale Abgaben. Zudem prüft die EU-Kommission die generelle Praxis aller EU-Staaten bei der Besteuerung von Unternehmen.