Herr Sarközi, wie oft sind Sie denn in den vergangenen Tagen auf ihre Namensgleichheit mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy angesprochen worden?

RUDOLF SARKÖZI: Eigentlich täglich, fast rund um die Uhr.

Fühlen Sie sich mit ihm irgendwie verwandt?

SARKÖZI: Nein, überhaupt nicht (lächelt). Das einzige Gemeinsame ist der Ursprung unseres Namens, abgeleitet von Sarköz, einem Auengebiet in Mittelungarn. Freilich hat es mich gefreut, als in Frankreich der Wahlkampf begonnen hatte und unser Name immer genannt worden ist. Auch der frühere Parlamentspräsident Andreas Khol hat mich einmal auf den damaligen Finanzminister Sarkozy angesprochen. Ich habe geantwortet: Wo a Göd is, san mir a, wie man so locker sagt.

Und was sagen Sie jetzt zu den Roma-Deportationen dank Sarkozy in Frankreich und dem ganzen Wirbel in der EU?

SARKÖZI: Ich schreibe gerade der Kommissarin Viviane Reding einen Brief. Darin gratuliere ich ihr zu ihrem Mut, gegen Frankreich aufgestanden zu sein. Ich biete ihr jetzt auch meine ganze Erfahrung und Hilfe an.

Hilft oder schadet die aktuelle Aufregung der Sache der Roma?

SARKÖZI: Ich glaube, das hilft. Die Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt, aber jetzt bemüht man sich, den Roma-Bürgern der EU ein besseres Leben zu verschaffen. Aus Rumänien und Bulgarien sind Millionen Menschen gekommen. Wir haben aber gewusst, was auf uns zukommt. Ich war ständiger Gast bei diesen Ländern vor deren EU-Beitritt.

Warum gibt es das Roma-Problem noch immer in Europa?

SARKÖZI: Es ist halt zu lange nicht passiert, diese Menschen in die Mitte zu nehmen, weshalb diese ghettoähnlichen Siedlungen entstanden sind.

Und was ist das Kernübel dieser Misere?

SARKÖZI: Schuld ist vor allem der Bildungsmangel, denn dadurch gibt es für die meisten auch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.

Wollen die Roma nicht in die Schule gehen?

SARKÖZI: Es gibt ja überall Schulpflicht. Dort und da gibt es sicher auch Familien, die keinen Wert darauf legen. Aber je gebildeter die Eltern sind, desto eher schicken sie ihre Kinder zur Schule.

Warum gibt es mit den Roma etwa in Tschechien oder der Slowakei so große Probleme, dass zornige Mitbürger sogar Mauern gegen Roma durch Orte bauen?

SARKÖZI: Das ist das Ergebnis der Konzentration auf einen Platz, an dem es keine Arbeit gibt, und von dort kommen sie auch nicht weg. Sie sind nicht so beweglich, wie es immer heißt, weil sie nicht ausgebildet sind.

Wen machen Sie für diese Nöte verantwortlich?

SARKÖZI: Die Politik und die Mehrheit, weil sich die Schwächeren immer nach den Stärkeren ausrichten müssen. Dabei wäre Geduld enorm wichtig, um die Leute aufzubauen. Es gibt schon Ansätze in den Schulen, aber oft ist es so, dass die Armut so groß ist, dass die Kinder kaum etwas zum Anziehen haben.

Wie viele Roma sind denn jetzt aus Frankreich und Italien zurückgeschickt worden?

SARKÖZI: Wenn man alles zusammenrechnet, kommen vielleicht 1.000 oder 1.500 zusammen. Man muss aber aufpassen. Unter den Rückgeführten können auch arme Teufel aus Rumänien oder Bulgarien sein, die sich mit den Roma zusammengetan haben und für solche gehalten werden.

Wie geht es den Roma in Österreich, wie viele leben hier?

SARKÖZI: Österreich war das erste Land Europas, das den Roma und Sinti seit 1993 die gleichen Rechte einräumt und sie als Volksgruppe anerkannt hat. Das war ganz wichtig. Durch die Sicherung, die Förderung und das Schulwesen haben die Leute Zugang zu Arbeit. Laut Volkszählung 2001 leben in Österreich 6.273 Leute, die Romanes sprechen. Aber ich glaube, 80 Prozent deklarieren sich nicht, weil "Zigeuner" so negativ gesehen werden.

Gibt es in Österreich noch Fahrende, die herumziehen?

SARKÖZI: Überhaupt nicht. Wenn hier welche auftauchen, sind sie auf Urlaub und kommen oft aus Frankreich oder aus den Beneluxstaaten. Ich sag oft provokant: Lebt wirklich die ganze Campingindustrie von Roma und Sinti? Ganz sicher nicht.

In Europa gelten Sinti und Roma mit rund neun Millionen als größte Minderheit. Wie viele fahren noch herum?

SARKÖZI: Nicht einmal ein Prozent. Früher waren es mehr, sie waren ja verfolgt, ausgegrenzt und sind als gute Hufschmiede, Messer- und Scherenschleifer oder Erzeuger von Birkenbesen, Sieben, Teppichen oder als Altwarenhändler herumgezogen und zu Jahrmärkten gefahren. Es gab auch Zeiten, wo sie der Dorfgendarm von einer Gemeinde zur anderen getrieben hat.

Wo sind heute in Österreich die größten Roma-Siedlungen?

SARKÖZI: Im Burgenland, im Raum Oberwart. Dort leben im Ortskern und in der Siedlung 150 bis 200 Personen, die machen keine Probleme, die sind integriert. Am Stadtrand von Graz gab es früher Probleme, aber das waren keine Roma aus Österreich. Durch den Balkankrieg gab es dann noch größeren Zuzug.

Welche Folgen hatte der Mord an vier Roma in Oberwart 1995?

SARKÖZI: Die vier Männer sind für uns, ich sag's ehrlich, Märtyrer geworden. Durch das Attentat hat die Bevölkerung viel, viel mehr über Roma erfahren und das hat sich positiv ausgewirkt.

Gibt es in Oberwart heute noch Diskriminierung?

SARKÖZI: Es kommt schon vor, dass Burschen nicht in Diskotheken hineindürfen. Ich sage ihnen dann: Freunde, müsst's ihr euer Geld wirklich dort ausgeben?

Zuletzt hat auch Österreich Roma-Asylanten abgeschoben.

SARKÖZI: Ja, mit anderen gemeinsam, das ist sehr unangenehm.

Es fällt auf, dass sie über die Situation der Roma in Österreich sehr verbindlich, direkt zurückhaltend reden. Ist das Ihr Temperament oder gezielte Zurückhaltung?

SARKÖZI: Es ist beides. Man kann ja nur mit Kompromissen und Aufzeigen von Problemen weiterkommen. Wenn es Schwierigkeiten gibt, kann ich im Stillen vieles tun und arbeite mit vielen zusammen. Für mich gilt dabei immer der Leitspruch: Ich bin in Armut geboren, in Armut aufgewachsen, ich weiß genau, wie das ist.

Warum funktioniert es in Österreich mit den Roma besser?

SARKÖZI: Ich sage Ihnen etwas ganz Interessantes. Im Zuge des Aufnahmeverfahrens von Österreich war es für die EU ganz wichtig, dass in Österreich die Hausaufgaben für Minderheiten gemacht wurden. Wir wurden zum Beispiel durch Programme des AMS und des Wirtschaftsministeriums gefördert. Ich glaube, dass es für Franz Vranitzky leichter war, Österreichs EU-Aufnahmeantrag nach Brüssel zu schicken, weil wir vorher als Volksgruppe anerkannt wurden. Nicht einmal die FPÖ hat sich damals dagegen gewehrt, trotz ihrer Ausländerfeindlichkeit, die aber eine ganz allgemeine ist.

Worauf sind Sie denn als Roma-Vertreter besonders stolz?

SARKÖZI: Dass es auch dank des von mir 1995 gegründeten Roma-Fonds in Oberwart und Umgebung keine Sonderschüler mehr gibt, dafür aber Facharbeiter und HAK-Abschlüsse. Außerdem habe ich nach erfolglosen Briefen an die Redaktion vor zehn Jahren durch ein späteres Gespräch mit Hans Dichand auf der Donauinsel erreicht, dass in der Kronen Zeitung "Zigeuner" nicht mehr geschrieben wird.

Sie verlangen seit Jahren, die EU sollte einen eigenen Kommissar für Minderheiten installieren. Glauben Sie noch daran?

SARKÖZI: Unterstützung gibt es auch von politischer Seite. Der Herr Staatssekretär Reinhold Lopatka hat mir erst vor vierzehn Tagen einen Brief geschrieben, dass er das auch unterstützt. Und die EU-Sozialdemokraten helfen uns jetzt dabei auch.