Lange hat der Friede in der FDP nach den dramatisch verlorenen Landtagswahlen nicht gehalten. Trotz aller Appelle, in Ruhe über die künftige Aufstellung zu diskutieren, wagten sich gestern immer mehr Politiker der Liberalen mit der Forderung an die Öffentlichkeit, dass Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle die Parteiführung abgeben solle. "Wer als Parteivorsitzender Schicksalswahlen verliert, muss als Parteivorsitzender die Konsequenzen ziehen", sagte FDP-Vorstandsmitglied und Europaparlamentarier Jorgo Chatzimarkakis. Er machte sich für Generalsekretär Christian Lindner als Nachfolger stark. Chatzimarkakis lobte: "Lindner traut sich, gegen den Strich zu bürsten und die Wahrheit auszusprechen. Er kettet sich nicht sklavisch an die Union, wie es Westerwelle getan hat."

Lindner gilt trotz seines jungen Alters - er ist gerade einmal 32 - als derzeit größtes politisches Talent in der FDP. Er war in den vergangenen Monaten regelmäßig als möglicher Nachfolger für Westerwelle von prominenten Liberalen genannt worden. Nach dem Verlust von vielen Stimmen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hatte Lindner am Dienstagmorgen das Ziel ausgegeben, dass die derzeit abgeschalteten acht Atomkraftwerke in Deutschland nie wieder ans Netz gehen sollen. Dabei hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung bislang als Reaktion auf die japanische Nuklearkatastrophe nur die Abschaltung der ältesten Meiler für Sicherheitsuntersuchungen beschlossen. Erst danach sollten endgültige Stilllegungen beschlossen werden. Für seinen Vorstoß erntete Lindner teilweise Lob von Parteifreunden, andere zeigten sich - wie auch der Koalitionspartner - irritiert.

Neben dem FDP-Chef muss Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zunehmend Kritik vom Wirtschaftsflügel ihrer Partei und aus der Wirtschaft einstecken. "Wir müssen unglaublich aufpassen, dass in der Diskussion um die Atomenergie unser wirtschaftlicher Erfolg nicht unter die Räder kommt", warnte Hans-Peter Keitel, Präsident des mächtigen Industrieverbands BDI.