Wer die irrwitzigen Brexit-Verhandlungen leiten konnte, ohne durchzudrehen, wird auch den politischen Zirkus der französischen Nationalversammlung überstehen: Das dürfte Emmanuel Macrons Kalkül gewesen sein, als sich nach Wochen der Suche nach einem neuen Premierminister der Joker namens Michel Barnier abzeichnete. Das treue Mitglied der konservativen Partei Les Républicains (LR) wurde mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Endet damit das Chaos?

Formal jedenfalls hat Frankreich nach den überraschend angesetzten Neuwahlen Anfang Juli wieder einen Regierungschef. Barnier soll die politische Blockade Frankreichs beenden. Ob ihm das gelingen kann, ist offen. In der Nationalversammlung stehen sich drei Blöcke unversöhnlich gegenüber, die sich allesamt für die Wahlgewinner halten. Am besten schnitt – auf dem Papier – die Linkskoalition der Neuen Volksfront ab, aber sie ist intern zerstritten.

Mehrheitsfähige Regierung wäre politische Meisterleistung

Stärkste Kraft im Parlament mit 142 Sitzen ist Marine Le Pens Rassemblement National (RN), die sich an der Regierung allerdings nicht beteiligen will. Der Regierungschef stammt nun ausgerechnet aus einer einst stolzen konservativen Partei, die nach teils burlesken internen Wirrungen von der Wählerschaft auf 47 Sitze reduziert wurde. Auch sie hatte angekündigt, nicht Teil der neuen Regierung sein zu wollen. In diesem Umfeld, in dem er nicht einmal auf seine eigenen Leute zählen kann, soll es Barnier gelingen, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Es wäre eine politische Meisterleistung.

Die Suche nach einem Premier erwies sich auch deshalb als so schwierig, weil die Fraktionen sofort Misstrauensvoten gegen diverse Kandidaten angekündigt hatten. Barnier ist in der vertrackten Situation keine schlechte Wahl: Macron hat sich von ihm garantieren lassen, die im Volk verhasste Rentenreform nicht anzutasten.

Erste Hürde schon Anfang Oktober

Barnier hat, so Macrons Kalkül, bessere Chancen, die Prozedur zu überstehen, weil er trotz aller Kampfansagen von rechts und links eventuell doch eine tragfähige Mehrheit irgendwo in der Mitte des politischen Spektrums finden könnte. Sicher ist das keineswegs. Die erste Hürde muss Barnier Anfang Oktober nehmen, wenn er den Entwurf eines drastischen Sparhaushalts durchs Parlament bekommen muss, um das Vertrauen der europäischen Partner zurückzugewinnen. Paris hängt seit diesem Juni ein Defizitverfahren aus Brüssel an.

Finanzen schlimmer als erwartet

Jüngst rückte das französische Finanzministerium mit aktuellen Zahlen heraus, die zeigen, dass die Lage noch schlimmer ist als ohnehin erwartet. Für diese monumentale Herausforderung wirkt Barnier wie gemacht: Nach stolzen 15 Jahren im Machtzentrum der EU genießt „Monsieur Brexit“ dort den Ruf eines kühlen Kopfes, konsensbemüht, kohärent, integer.

Le Pen akzeptiert Barnier, weil er sich zu einem scharfen Kritiker der Migrationspolitik der EU entwickelt hat. Die linken Parteien aber werden ihm das Leben schwer machen. Kurz nach seiner Ernennung gaben die Linkspopulisten des Unbeugsamen Frankreich (LFI) die Parole aus: „Wir sprechen Barnier das Misstrauen aus. Wir setzen Macron ab. Wir demonstrieren am 7. September!“ – also heute.

Nach der Regierungskrise ist in Frankreich also vor der Regierungskrise. Gute Nachrichten sind das nicht unbedingt.