Die Nachwehen des Messer-Attentats in Solingen und die zwei desaströsen Wahlergebnisse für die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP in Thüringen und Sachsen setzen die Koalition unter massiven Druck. Die Parteien beraten mit der oppositionellen CDU über mögliche Verschärfungen im Asylbereich. Die CDU fordert, Migranten künftig direkt an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigt sich offen für den Vorschlag und will die Sache rechtlich prüfen lassen. Auch die FDP zeigte sich verschärfungswillig. Für die Grünen ist es ein heikles Thema, sie halten sich noch bedeckt.

Rechtlich kaum möglich

Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck hält die Forderungen nach Zurückweisungen an der Grenze für rechtlich nicht umsetzbar. Auch dann nicht, wenn Asylwerber daran gehindert würden, deutsches Hoheitsgebiet zu betreten. „Sobald jemand zu einem deutschen Grenzbeamten sagt, dass er einen Asylantrag stellen will, muss Deutschland diesen Antrag prüfen“, sagt Obwexer zur Kleinen Zeitung. Das schreibt das EU-Asylrecht vor, das von einem einzelnen Nationalstaat nicht eigenmächtig geändert werden kann.

Die einzige Möglichkeit wäre eine Art Notstandsklausel, auf die sich Deutschland berufen könnte. Wenn ein Land so viele Asylanträge hat, dass das Asylsystem völlig lahmgelegt wird und Schulen und das Gesundheitssystem nicht mehr funktionieren oder die Sicherheit und öffentliche Ordnung gefährdet ist, kann es sich auf einen Notstand berufen. Dann könnten Migranten abgewiesen werden, die sich auf dem Boden eines sicheren Landes befinden. „Diesen Notstand sehe ich in Deutschland derzeit allerdings nicht“, sagt Obwexer. Wenn sich Berlin trotzdem darauf beruft und Migranten zurückweist, könnte die EU-Kommission gegen Deutschland vorgehen. Die finale Entscheidung würde dann der Europäische Gerichtshof treffen, denn genaue Parameter für so einen Notstand gibt es nicht. Das würde mindestens vier Jahre dauern.

Mehr Asylanträge in Österreich

Sollte Deutschland Migranten an der Grenze zu Österreich zurückweisen, können sie ihren Asylantrag nur in Österreich stellen. Das würde ein Mehraufkommen an Asylanträgen in Österreich bedeuten, denn zahlreiche Migranten durchqueren das Land mit dem Ziel, Deutschland zu erreichen. Sie würden in Österreich hängenbleiben.

Wie die heimischen Behörden darauf reagieren würden, ist nicht ganz klar. Aus dem Innenministerium heißt es gegenüber der Kleinen Zeitung: „Grundsätzlich geht Österreich davon aus, dass sich alle EU-Mitgliedstaaten, auch Deutschland, an geltendes EU-Recht halten. Dies bedeutet, dass Personen, die einen Asylantrag stellen, nicht formlos an der Grenze zurückgewiesen werden dürfen.“ Alle aufgegriffenen Migranten ohne Aufenthaltsrecht würden einer „entsprechenden fremdenrechtlichen Behandlung“ zugeführt“ werden, heißt es in der Stellungnahme.

Die Koalition in Berlin ist jedenfalls unter Handlungsdruck. In zwei Wochen steht die nächste Landtagswahl in Brandenburg an. Umfragen zufolge könnte die weit rechte AfD Platz eins erreichen. SPD, Grüne und FDP müssen mit Verlusten rechnen. Umso motivierter ist die Regierung, bald weitere Maßnahmen auf den Tisch zu legen.