Sachsen und Thüringen haben gewählt. Das Votum bringt eine Zäsur. Für ganz Deutschland. Knapp jede zweite Stimme in Thüringen geht an eine autoritär-populistische Partei wie AfD und BSW. In Sachsen sieht es nicht viel besser aus. Die demokratische Mitte? Erschütternd dünn. Die SPD dümpelt knapp über fünf Prozent. So sieht es aus im neuen Deutschland. Umso bemerkenswerter ist das Abschneiden von Sachsens CDU-Mann Michael Kretschmer zu werten. Doch programmatisch weit außerhalb des klassischen Union-Kanons. Stichwort Ukraine. Das Ergebnis von AfD und BSW lässt sich auch als Absage aus dem Osten gegen Deutschlands Westbindung deuten. Deutschland gerät auf Abwege. Auch außenpolitisch.

Bonn ist nicht Weimar, lautete ein Schlagwort der alten Bundesrepublik (West). Die These: Die demokratische Architektur des in Bonn erarbeiteten Grundgesetzes ist sturmfest, ein Aushöhlen der Institutionen wie in der Weimarer Republik undenkbar. In der Berliner Republik wanken diese Gewissheiten. Welchen legalen Spielraum Gesetze autoritären Parteien zur Machtentfaltung bieten, wird akribisch erforscht. Im Bund wird schon gegengesteuert. Ampel und Union einigten sich auf striktere Regeln bei der Berufung fürs Verfassungsgericht. Die Demokratie wappnet sich.

Einst Kommunistin, jetzt offen für AfD

Nicht nur die Stärke der AfD überrascht. Auch der Erfolg des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) ist ungekannt. Offen kokettiert die Gründerin mit Allianzen mit der AfD. Ein weiter Weg von der kommunistischen Plattform zu Bündnissen mit gerichtsnotorischen Neonazis wie Björn Höcke.

Im Bund scheint eine Blockade wie in Frankreich undenkbar. Doch folgen schon erste Konsequenzen. Kurz vor der Wahl startete ein Abschiebeflug nach Afghanistan. Schon am Dienstag wollen Ampel und Union über striktere Asylregeln reden. Eine Reaktion auf den Anschlag von Solingen. Dabei sind viele Maßnahmen nicht neu. Sie wurden im EU-Asylpakt im Mai besiegelt, dem härtesten Schnitt in der Migrationspolitik seit Jahrzehnten. Betonen wollte das im Wahlkampf allerdings niemand. So besetzten die AfD und das Bündnis Wagenknecht das Thema. Fatal. Dabei ist Politik nicht machtlos. Sie muss Beschlossenes aber umsetzen. Andernfalls drohen Frust und Enttäuschung.

Verteilungskampf

Dieses Votum ist mehr als eine wutbürgerliche Protestwahl. Kapitalismus und Demokratie gaben lange ein Traumpaar der Geschichte. So half der wachsende Wohlstand nach 1945 auch die Bundesrepublik (West) zu stabilisieren. Nun scheint das kongeniale Duo aus dem Tritt. Es geht nicht mehr um Wohlstand für alle, sondern um den eigenen Anteil am schwindenden Wachstum. In ökonomisch schwierigen Zeiten wird der Klassen- zum Verteilungskampf. Gepoltert wird gleichermaßen gegen unten und außen. Der Unmut trifft Bürgergeldempfänger wie Migranten. Und aus Hilfen für die Ukraine wird nur ein Abfluss von Steuergeldern. Das ist die neue politische Spannungslage. Nicht nur in Ostdeutschland.