Das Foto eines lachenden jungen Mannes, der Fußball über alles liebte, ging um die Welt: Hersh Goldberg-Polin, 23 Jahre jung. Er hatte das Hamas-Massaker des 7. Oktober überlebt, obwohl seine Hand durch eine Granate zerfetzt und später im Gazastreifen amputiert wurde, er überstand fast elf Monate als Geisel der Hamas. Jetzt ist Hersh tot. Die Terroristen erschossen ihn und fünf weitere junge Israelis, als sich die israelischen Soldaten näherten.

Nach dem Fund der sechs ermordeten jungen Geiseln Goldberg-Polin (23), Carmel Gat (40), Ori Danino (25), Almog Sarusi (27), Eden Yerushalmi (24) und Alexander Lobanov (32) in einem Tunnel der Hamas wollen die Angehörigen aller Verschleppten nicht mehr stillhalten. Sie riefen die israelische Bevölkerung auf, „das ganze Land erzittern zu lassen“ und fordern einen Generalstreik, um einen Deal für die Befreiung ihrer Liebsten aus Gaza durchzusetzen. Am Nachmittag kündigte die größte Gewerkschaft des Landes, Histadrut, für Montag einen Generalstreik an.

Schockiert

Das Forum für Geiseln und Vermisste erklärte: „Wir sind schockiert und in tiefster Trauer. Diese sechs Personen wurden lebend gefangen genommen, erduldeten die Schrecken der Gefangenschaft und wurden dann kaltblütig ermordet.“ Ein Deal für die Rückgabe der Geiseln würde seit über zwei Monaten auf dem Tisch liegen. Ohne die Verzögerungen, Sabotage und Ausreden wären sie noch am Leben.

Itzik Horn, dessen Söhne Yair und Eitan in Gaza gefangen gehalten werden, verurteilte den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu dafür, „allein Entscheidungen zu treffen und zu lügen“. Er forderte seine Absetzung, „um die Geiseln und das Land zu retten“, und drängte die US-Regierung, Netanyahu zu misstrauen. Meinungsumfragen, die letzten vom Wochenende, zeigen mit einer Mehrheit von Zweidrittel weiterhin breite öffentliche Unterstützung für einen Deal.

Sie hätten überleben können

Die Leichen wurden am Samstagabend etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt gefunden, an der die Geisel Kaid Farhan Elkadi in der vergangenen Woche lebend gerettet wurde. Die Autopsien ergaben, dass ihnen in den Kopf geschossen wurde. Der körperliche Zustand der Geiseln sei zwar schwach gewesen, deutete aber nicht auf extreme Auszehrung hin. Wären sie nicht erschossen worden, hätten sie überlebt, so eine israelische Quelle, die mit den Untersuchungen vertraut ist. US-Präsident Joe Biden, der sich mehrmals mit den Eltern von Hersh, einem israelisch-amerikanischen Doppelstaatsbürger, getroffen hatte, sei „am Boden zerstört und empört“.

Schreiduell mit Netanyahu

Auch Verteidigungsminister Yoav Gallant hatte klare Worte nach der schrecklichen Nachricht: „Das Kabinett muss sofort die getroffene Entscheidung rückgängig machen. Bei der „Entscheidung“ bezog sich Gallant auf eine Abstimmung zur sogenannten Philadelphi-Route. Gallant hatte dagegen gestimmt und Netanyahu vorgeworfen, die Stationierung von IDF-Soldaten an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten einem Abkommen zur Befreiung der Geiseln vorzuziehen. Der Premier bestätigte, dass dem so sei, worauf Gallant die Fassung verlor und geschrien haben soll: „Er kann auch entscheiden, alle Geiseln zu töten.“

Ausreden

Bei Anti-Regierungsprotesten am Samstagabend nannte Oppositionsführer Yair Lapid die Debatte um den Korridor an der Grenze zu Ägypten als „Netanjahus neue Ausrede“. Er fügte hinzu: „Die Philadelphi-Route hat 20 Jahre gewartet. Die Geiseln können nicht warten, ihre Zeit läuft ab.“ Am folgenden Tag schloss er sich den Forderungen nach einem Generalstreik an. Bereits am Morgen darauf erklärten mehrere Stadtverwaltungen, darunter Tel Aviv, sich dem Streik anzuschließen. Auch schlossen Restaurants, Geschäfte, Supermärkte und Kulturbetriebe aus Solidarität mit den Geiselfamilien ihre Pforten. Mehrere Großkundgebungen sind im ganzen Land geplant.

Netanjahu schrieb, dass er die tiefe Trauer der Familien teile. Er versicherte, dass die Bemühungen, die Geiseln zu befreien, ununterbrochen weitergingen und behauptete, er habe sich immer für ein Abkommen ausgesprochen, während die Hamas alles abgelehnt habe. „Wer Geiseln ermordet, will kein Abkommen.“ Während die Terrororganisation ganz und gar kein rationaler Verhandlungspartner ist, können die Israelis immer weniger ignorieren, dass Netanyahu von Motiven seines politischen Überlebens getrieben wird und seine Koalition mit Religiösen und Rechtsextremen um jeden Preis intakt halten will.

Feuerpause

Drei der sechs Geiseln, deren Leichen aus Gaza geborgen wurden, hätten in der ersten Phase des Abkommens freigelassen werden sollen. Derzeit wird weiter in Kairo darüber verhandelt. In Gaza soll am selben Tag mit den begrenzten humanitären Feuerpausen begonnen werden, um die Massenimpfung von Hunderttausenden Kindern gegen Polio zu ermöglichen. Der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO in Gaza, Rik Peeperkorn, berief sich auf eine Zusage der für Palästinenserangelegenheiten zuständigen israelischen Behörde Cogat. Nach der Entdeckung von Polio-Viren im Abwasser hatten die Vereinten Nationen entschieden, etwa 640.000 Kinder unter zehn Jahren im Gazastreifen in zwei Runden gegen das Virus zu impfen.