Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren hat Deutschland Freitag früh wieder afghanische Staatsangehörige in ihr Herkunftsland abgeschoben. Das teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit. „Es handelte sich hierbei um afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen.“ Alle Betroffenen sind Männer, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr.

Das sächsische Innenministerium teilte mit, die Maschine sei Freitag früh vom Flughafen Leipzig/Halle abgehoben. Zuvor hatte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet. Der dpa wurden zudem „Spiegel“-Informationen bestätigt, wonach um 6.56 Uhr ein Charterjet von Qatar Airways von Leipzig aus in Richtung Kabul startete.

In der Boeing 787 sitzen demnach 28 afghanische Straftäter, die aus verschiedenen deutschen Bundesländern nach Leipzig gebracht worden sind. Organisiert worden sei die Aktion federführend vom deutschen Innenministerium. Verurteilte Straftäter sollen nach früheren Angaben vor einer möglichen Abschiebung einen Großteil ihrer Strafe in Deutschland abgesessen haben.

Es handle sich um eine „sehr gute“, wenn auch „nicht überraschende Nachricht“, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Freitag am Rande eines Pressetermins in Mödling auf APA-Nachfrage. Er fordere derartige Schritte seit mehr als zwei Jahren. Es komme „endliche Bewegung in die Sache“.

Derartige Abschiebungen müssten durchgeführt werden, so Karner. Er habe diesbezüglich am Freitag in der Früh mit seiner deutschen Amtskollegin Nancy Faeser telefoniert. Auch aus Österreich werde wieder nach Afghanistan abgeschoben werden, kündigte der Innenminister an. „So schnell wie möglich“, erläuterte er auf Nachfrage. Abschiebungen bräuchten internationale Zusammenarbeit. Sie seien „kein Wettbewerb, sondern harte und gemeinsame Arbeit“. Zur Umsetzung brauche es Partner in Europa und in der Region.

Scholz: „Vorhaben gelingt nur, wenn man es sorgfältig und diskret macht“

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete den Abschiebeflug nach Afghanistan als Zeichen an alle Straftäter. „Es ist ein klares Zeichen: Wer Straftaten begeht, kann nicht darauf rechnen, dass wir ihn nicht abgeschoben kriegen, sondern wir werden versuchen, das zu tun, wie man in diesem Fall sieht“, sagte der SPD-Politiker bei einem Wahlkampftermin in der Nähe von Leipzig.

„Wir haben angekündigt, dass wir auch Straftäter nach Afghanistan wieder abschieben werden. Das haben wir sorgfältig vorbereitet, ohne groß darüber zu reden, weil solches Vorhaben ja nur gelingt, wenn man sich da Mühe gibt, wenn man es sorgfältig und sehr diskret macht. Heute ist das erfolgt“, so Scholz.

Nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim Ende Mai hatte der deutsche Bundeskanzler angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und auch Syrien wieder zu ermöglichen. Der Abschiebeflug startete nun zwar nur wenige Tage nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten tödlichen Messerattentat von Solingen, hat aber einen deutlich längeren Vorlauf, hieß es aus Behördenkreisen.

Schwere Straftäter aus verschiedenen Bundesländern

Ein afghanischer Straftäter aus Sachsen-Anhalt wurde wegen zweifacher Vergewaltigung verurteilt, ein weiterer war wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in Haft, aktuell wurde gegen ihn auch wegen Vergewaltigung und Abgabe von Betäubungsmitteln ermittelt. Fünf Männer aus Baden-Württemberg sind nach Angaben von „Focus“ schwere Straftäter – einer davon hat ein elfjähriges Mädchen im Jahr 2022 vergewaltigt.

Laut „Welt“ soll auch ein Mann an Bord sein, der 160 Straftaten in Deutschland verübte. Ein weiterer Afghane beteiligte sich 2019 an einer Gruppenvergewaltigung eines 14-jährigen Mädchens, nachdem er es mit drei weiteren Tätern unter Drogen gesetzt hatte. Drei Täter aus Bayern wurden wegen Sexualstraftaten und einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Sie seien 27, 29 und 30 Jahre alt.

Insbesondere die deutschen Grünen und auch ihre Außenministerin Annalena Baerbock hatten sich bisher skeptisch zu Abschiebungen nach Afghanistan gezeigt und davor gewarnt, die islamistische Taliban-Regierung indirekt anzuerkennen. Baerbock hatte aber am Dienstag im RBB-Inforadio auch gesagt, bereits jetzt seien Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan vereinzelt machbar. „In Einzelfällen ist das dort möglich“, sagte sie. Es sei angesichts der dort herrschenden Regimes aber „offensichtlich nicht trivial“. Es sei zudem bereits Rechtslage, dass Straftäter und Gefährder keinen Schutzstatus bekämen oder ihn dann verlören und weggesperrt gehörten.

Deutscher Vizekanzler hält die Abschiebungen für „konsequent“

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck begrüßte die Abschiebung. „Mörder, Islamisten, Vergewaltiger, Schwerkriminelle, die unseren Schutz missbrauchen, müssen das Land verlassen“, sagte der Grünen-Politiker am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. „Daher ist das konsequent.“ Zugleich mahnte Habeck, das Asylrecht müsse unangetastet bleiben, damit unbescholtene Menschen, Verfolgte sowie Opfer von Gewalt und Terror, die vor Islamisten geflohen seien, Schutz fänden. „Diesen Unterschied zu machen, ist wichtig“, unterstrich Habeck.

Co-Parteichef Omid Nouripour erklärte am Freitag, es sei stets klar gewesen, „dass es technische Möglichkeiten geben kann, in wenigen Fällen Menschen nach Afghanistan zu fliegen“. Der nun durch das Emirat Katar vorgenommene Flug sei ein solcher Weg. „Allerdings sind so Abschiebungen im großen Stil nicht möglich“, sagte Nouripour. „Dafür bräuchte es eine direkte staatliche Zusammenarbeit, die mit den Steinzeit-Islamisten der Taliban nicht möglich ist.“

Das Asylrecht sieht Ausschlussgründe für Schutz in Deutschland vor, zum Beispiel Kriegsverbrechen. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich in ihrem „Sicherheitspaket“ vorgenommen, diese Liste zu erweitern – unter anderem um antisemitische Straftaten.

Taliban seit 2021 an der Macht

Seit August 2021 sind in Afghanistan wieder die islamistischen Taliban an der Macht, die international vor allem wegen ihrer massiven Beschneidung von Frauenrechten kritisiert werden. Insgesamt ist es seit der erneuten Machtübernahme der Taliban zu einem deutlichen Rückgang der bewaffneten Auseinandersetzungen in dem Land gekommen, auch wenn es nach wie vor Anschläge gibt. Die meisten reklamiert die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) für sich, die mit den Taliban trotz ideologischer Nähe verfeindet ist. Vor allem Angehörige der schiitischen Minderheit in dem Land geraten immer wieder ins Visier des IS. Die Terrormiliz betrachtet Schiiten als Abtrünnige des Islam und verachtet sie.

Kritiker bemängeln unter der Taliban-Herrschaft auch ein hartes Vorgehen gegen Menschenrechtler, Demonstranten oder Journalisten, denen laut Menschenrechtsorganisationen Verhaftung, Verschwinden oder Folter drohen.

Scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisation

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International übte scharfe Kritik an der Abschiebung nach Afghanistan vom Freitag. „Menschenrechte haben wir alle - und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht“, sagte Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. „Es ist alarmierend, dass sich die Bundesregierung über diese Verpflichtungen hinwegsetzt und Menschen nach Afghanistan abgeschoben hat.“

Außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwindenlassen und Folter seien unter den Taliban an der Tagesordnung, so Duchrow. „Schiebt die Bundesregierung trotzdem nach Afghanistan ab, riskiert sie, sich zur Komplizin der Taliban zu machen.“ Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl warnt davor, dass die Abschiebung einen Schritt Richtung Normalisierung der Taliban-Regierung bedeuten könnte.