Große Reden, das ist das Ding von Ursula von der Leyen. Auch diesmal: Immer wieder Zwischenapplaus im EU-Parlament während ihrer Bewerbungsansprache für eine zweite Amtszeit. Schon bei ihrem ersten großen Auftritt vor fünf Jahren sprach sie mitreißend, wechselnd zwischen den Sprachen Englisch, Französisch, Deutsch.

Der große Unterschied: Beim ersten Mal zeichnete sie ein Bild vom Regenbogenland und Einhörnern, von einer glitzernden, glänzenden Zukunft Europas, aufgebaut auf dem Green Deal und der Rettung des Klimas. Heute ist das anders, Pandemie, Krisen und Krieg holten Europa in die harte Realität zurück. Die alte und neue Kommissionspräsidentin nennt die Problemzonen beim Namen, legt konkrete Arbeitsaufträge für die Kommission auf den Tisch. Der Green Deal kommt vor, aber nur mehr als Rahmen.

Sammelmappe der dringendsten Wählerwünsche

Ob bessere Bedingungen für die Wirtschaft, weiterer Ausbau von Frontex und Außengrenzschutz, Versprechungen für sozial gerechtes und leistbares Wohnen, diffuses Nachgeben bei den E-Fuels bis hin zu einer Entlastung und Förderung der Bauern und heimischer Lebensmittelproduktion – von der Leyens selbst auferlegtes Arbeitspapier liest sich wie eine Sammelmappe der dringendsten Wählerwünsche. Sie kommt damit den Parteien der Mitte und damit ihren – im weiteren Sinn auch deren – Wählern entgegen.

Warnungen vor Einreißen der Brandmauer

Diese Mitte ist stark, erkennbar am tosenden Applaus bei der scharfen Kritik an Viktor Orbáns spalterischem Alleingang und dem Bekenntnis zur umfassenden Ukraine-Unterstützung, zu sehen auch an den überlaut vorgetragenen Beteuerungen der Rechten, sie auf keinen Fall gewählt zu haben. Im Parlament wurde ihnen damit ein Platz hinter der Trennwand zugewiesen, Europa zeigt: Wir sind auch ohne euch entscheidungsfähig. Es wirkt wie der berühmte Treppenwitz der Geschichte: Das Erstarken der rechten (und extremen linken) Kräfte in Europa ließ die Parteien der Mitte enger zusammenwachsen. Dazu gehören auch die gemäßigten Kräfte in der Fraktion EKR, die von Georgia Meloni in den Kreis der Taktgeber herangeführt wurde. Das sei der richtige Zugang gewesen, sagte von der Leyen nach der Wahl strahlend, die Mehrheit im „proeuropäischen Zentrum“ sei wichtig. Zuvor hatten Sozialdemokraten, Liberale und Grüne davor gewarnt, die Brandmauer einzureißen. Doch noch mehr innere Gräben kann die Union nicht brauchen, also nickten sie die Annäherung ab.

Brauchbare Grundlage, aber ...

Jetzt folgt noch der letzte Akt, die Präsidentin will von jedem Mitgliedsland wie schon 2019 zwei Vorschläge, weiblich und männlich, für die Kommissarsposten. Österreich ist, im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern, säumig und innenpolitisch verkeilt, aber bis Mitte August ist noch Zeit.

Das alles ist eine brauchbare Grundlage für die nächsten Jahre. Aber das härteste Stück kommt noch: Die Umsetzung all der Pläne. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, hält sich das Weltgeschehen nicht unbedingt an fromme Wünsche.