Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will Pläne für eine zweite Friedenskonferenz für sein von Russland angegriffenes Land vorantreiben. „Wir haben nicht zu viel Zeit, weil wir haben viele Verletzte und Tote auf dem Schlachtfeld“, sagte er am Donnerstag vor einem Treffen mit den EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz forderte unterdessen eine fairere Lastenverteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Kriegsland.

Alle 27 Mitgliedstaaten sind gefordert

„Deutschland, Polen, Tschechien zum Beispiel und noch einige wenige weitere Länder haben die meisten Flüchtlinge aufgenommen“, sagte Scholz gegenüber Medienvertretern. Wenn sich andere Länder nicht stärker an der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge beteiligen würden, müsse Europa Länder wie Deutschland finanziell unterstützen, forderte der deutsche Sozialdemokrat. Selenskyj ist nach Brüssel gereist, um ein Sicherheitsabkommen zwischen der EU und der Ukraine zu unterzeichnen. „Mit diesem Abkommen verpflichten sich zum ersten Mal alle 27 Mitgliedstaaten, die Ukraine unabhängig von internen institutionellen Veränderungen umfassend zu unterstützen“, schrieb er zuvor auf der Onlineplattform X.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell betonte, diese Sicherheitsverpflichtungen würden insbesondere die Verwendung des Geldes aus russischen eingefrorenen Vermögenswerten kanalisieren. „Es ist gut, dieses Geld zu nehmen, um der Ukraine mehr militärische Unterstützung zukommen zu lassen“, betonte Borrell. Es solle in die Ausbildung von Soldaten und in die Militärindustrie fließen. Die EU müsse zudem „verlorene Zeit zurückgewinnen, wie man den Ausbau ihrer Verteidigungskapazitäten finanzieren kann“, forderte der Außenbeauftragte. Aber: „Weder die EU noch die Mitgliedstaaten haben genügend Ressourcen für einen großen Vorstoß.“

In Brüssel bedankte sich Selenskyj dann bei der EU für ihre Unterstützung der Ukraine, forderte aber zugleich erneut bessere Luftabwehrsysteme für sein Land. Die kürzlich aufgenommen EU-Beitrittsverhandlungen seien ein „historisches Resultat“ auf das die Ukraine „lange gewartet habe“. Mit den EU-Staatsspitzen wolle er jetzt über die nächsten Schritte reden. Dazu gehöre auch ein weiterer Friedensgipfel nach jenem in der Schweiz Mitte Juni. „Wir wollen diesen Krieg nicht für viele Jahre“, so Selenskyj. Er selbst habe keinen Dialog mit Russland, sagte der ukrainische Präsident auf eine entsprechende Frage hin. „Sie (Russland; Anm.) haben nur einen Plan, der ist, diesen Krieg länger zu machen“.

Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel dürfte die Entscheidung über die Spitzenposten der künftigen Europäischen Kommission, des Rates und des Auswärtigen Dienstes fallen: Die großen europäischen Parteienfamilien haben sich zuvor darauf verständigt, Ursula von der Leyen, António Costa und Kaja Kallas für die drei Posten zu nominieren. Zudem ist nach dem Start der Beitrittsgespräche mit der Ukraine deren Präsident Wolodymyr Selenskyj beim Gipfel dabei. Von der Leyen, schon bisher Kommissionspräsidentin, gehört der konservativen EVP (Europäische Volkspartei) an, der portugiesische Ex-Premier Costa ist Sozialdemokrat und die estnische Regierungschefin Kallas eine Liberale.

Nehammer unterstützt von der Leyen

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sprach am Mittwoch im EU-Hauptausschuss in Wien aber erneut seine Unterstützung für von der Leyen aus, die sich mit „offenem Visier“ der EU-Wahl als Spitzenkandidatin gestellt habe und unter anderem die Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit, die auch Nehammer ein großes Anliegen sei, in den Vordergrund gestellt habe. Insofern sei es für ihn „keine große inhaltliche Herausforderung“, sich für sie auszusprechen. Er zeigte sich außerdem zuversichtlich, dass die neue EU-Kommission ihre Arbeit wie geplant am 1. November aufnehmen kann.

Aus Sicht Österreichs müssten die Personalfragen rasch geklärt werden, damit die EU nach den erfolgten Wahlen schnell wieder voll handlungsfähig sei.