Um 18 Uhr, noch lange bevor ernstzunehmende Trendprognosen eintrafen, lud die EPP bereits zur Gartenparty nahe ihrem Brüsseler Hauptquartier. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Fraktions- und Parteichef Manfred Weber hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Anlass mehr für besorgte Mienen, später dankte auch noch Klimakommissar Wobke Hoekstra in enthusiastischen Worten allen für den Wahleinsatz. Längst hatte es sich schon abgezeichnet: Die EVP ist stärkste Fraktion im EU-Parlament geblieben. Schwächere Ergebnisse in Ländern wie Österreich stehen Zuwächse in großen Mitgliedsländern wie Deutschland oder Polen gegenüber. Laut den Prognosen nach endgültigem Wahlschluss um 23 Uhr legen die Konservativen sogar von 176 auf 189 Mandate zu.
Die Sozialdemokraten hielten den zweiten Platz mit einem schwachen Verlust, die Liberalen (Renew) kamen mit 20 Plätzen Verlust gerade noch auf den dritten Platz. Dann folgen bereits die rechten Fraktionen EKR und ID – noch vor den Grünen, die empfindliche Verluste wegstecken müssen. Auch die Linken sind zurückgefallen. Das Rechenbeispiel zeigt, dass die Rechtsfraktionen gemeinsam nur knapp den zweiten Platz verfehlen würden. Zumal in der Vergangenheit mehrere Versuche gescheitert sind, sich in einer Gruppe zusammenzuschließen, gilt eine solche Super-Fraktion allerdings als sehr unwahrscheinlich.
Rochaden machen es spannend
Schon spannender ist die Frage, welche Verschiebungen nun die Verhandlungen bringen. Assita Kanko, EKR-Vizechefin, antwortete auf die Frage, ob etwa Viktor Orbáns Fidesz-Leute oder andere aufgenommen werden könnten, um so Platz drei zu sichern, man orientiere sich an der zu leistenden Arbeit und nicht an einem Platz im Ranking. Nach den Wahlen sind jeweils 50 bisherige und 50 neue Mandatare noch ohne Fraktion; sie sind potenzielle Mitglieder, je nach der politischen Ausrichtung und ihrer persönlichen Agenda.
Für die EVP und die S&D heißt es jetzt, neue Allianzen zu finden. Manfred Weber (“Wir haben die Wahl gewonnen“) kann sich vorstellen, die Abgeordneten des ungarischen Oppositionellen Peter Magyar aufzunehmen, Ursula von der Leyen hat keine Scheu gezeigt, auf Georgia Melonis Fratelli zuzugehen. Kurz vor Mitternacht sagte sie im EU-Parlament, sie wolle zunächst die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der S&D und den Liberalen fortsetzen. Philippe Lamberts (Grüne), will erst einmal ein Programm sehen, zeigte sich aber offen für Verhandlungen – darauf wollte von der Leyen trotz Nachfrage nicht näher eingehen. Sie zeigte sich „zuversichtlich“, einerseits vom Rat vorgeschlagen zu werden und danach eine Mehrheit im Parlament zu schaffen. Nachsatz: „Da liegt aber noch viel Arbeit vor mir“. Wesentlicher Faktor für die Wiederwahl Ursula von der Leyens werden letzten Endes die Sozialdemokraten sein, die einen zu starken Rechtsschwenk der EVP nicht mitmachen wollen. Die Chancen von der Leyens sind jedenfalls seit gestern stark gestiegen.