Das teilte die Wahlleiterin Ella Pamfilowa am Sonntagabend nach Auszählung von fast einem Viertel der Stimmzettel mit. Damit legte der 71-jährige Putin um mehr als zehn Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl von 2018 zu. Putin selbst dankte seinen Landsleuten in einer ersten Reaktion.
„Sind ein geeintes Team“
„Wir sind ein geeintes Team, alle russischen Bürger, die in die Wahllokale gekommen sind und gewählt haben“, sagte Putin in einer Rede vor seinem Wahlkampfteam, die vom Staatsfernsehen übertragen wurde. Die Wahlergebnisse zeigten das „Vertrauen“ der Russen in seine Führung. Zugleich betonte er, er wolle alles in seiner Macht Stehende tun, um die an die Führung gestellten Aufgaben zu erfüllen, wie die Staatsagentur Tass weiter berichtete.
Das Ergebnis gilt als das beste ihm je zuerkannte. Auch die Wahlbeteiligung war mit über 74 Prozent ein Rekord. Es war der höchste Wert bei einer russischen Präsidentenwahl. Kritiker wiesen jedoch darauf hin, dass er nur durch Repressionen, Zwang und Betrug erreicht wurde. Die ersten aussagekräftigen Resultate soll es an diesem Montag geben. In der Regel stimmen die Prognosen mit dem am Ende verkündeten Ergebnis überein.
Beobachter haben die von Protesten begleitete Abstimmung als undemokratisch eingestuft, weil keine echten Oppositionskandidaten zugelassen waren. Zudem gibt es in Russland keine Versammlungsfreiheit, die vom Kreml gesteuerten Medien sind gleichgeschaltet. Unabhängige Medien werden politisch verfolgt. Andersdenkende, die Putins Krieg gegen die Ukraine oder den Machtapparat kritisieren, riskieren Strafen bis hin zu Lagerhaft.
Putins drei Mitbewerber waren nicht nur alle auf Kremllinie, sondern galten auch von vornherein als komplett chancenlos. Nach Schließung der Wahllokale wurden dem Kommunisten Nikolai Charitonow gemäß der ersten Ergebnisse weniger als vier Prozent der Stimmen zuerkannt; Wladislaw Dawankow von der liberalen Partei Neue Leute lag ebenfalls bei unter vier Prozent; der Ultranationalist Leonid Sluzki erreichte rund drei Prozent.
Aufgerufen zu der Wahl waren 114 Millionen Menschen, auch jene in den besetzten Gebieten in der Ukraine. Der heute 71-jährige Putin herrscht seit 1999, darunter war eine Amtszeit als Ministerpräsident. Nach einer im Jahr 2020 bestätigten Verfassungsänderung könnte Putin 2030 erneut für weitere sechs Jahre antreten. Er hat das Land gut zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine fest im Griff.
Putin dürfte das Ergebnis als Bestätigung seines antiwestlichen und autoritären Kurses präsentieren. Beobachter erwarten, dass er damit für die nächsten sechs Amtsjahre nicht nur außenpolitisch in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine noch einmal deutlich nachlegt. Viele Russen befürchten eine neue Mobilmachung Hunderttausender Reservisten.
Auch innenpolitisch könnten die Daumenschrauben im Land noch einmal deutlich stärker angezogen werden, um den an den drei Wahltagen sichtbaren Protest von Putins Gegnern zu ersticken. Angekündigt sind zudem Steuererhöhungen, mit denen die hohen Ausgaben für den Krieg und die sozialpolitischen Vorhaben finanziert werden sollen.
Von Putins Krieg gegen die Ukraine überschattet
Die auf drei Tage angesetzte Abstimmung wurde auch von Putins Krieg gegen die Ukraine überschattet, den er immer wieder als Kampf gegen ein angebliches Vormachtstreben der Nato und des Westens darstellt. Das verfing bei vielen Russen.
Der nun für weitere sechs Jahre gewählte Kremlchef dürfte das Ergebnis auch als klaren Ansporn nutzen, um der Ukraine noch mehr Gebiete zu entreißen. Putin hat angekündigt, die bisher teils besetzten ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja komplett einzunehmen. Auch Odessa im Süden droht ein russischer Besatzungsversuch.
In den okkupierten Teilen und auf der von Russland bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim stimmten Menschen ebenfalls bei der von Putin-Gegnern als Farce kritisierten Wahl ab. Die Ukraine und andere Länder weisen die unter Bruch des Völkerrechts organisierte Abstimmung als illegal und bedeutungslos zurück. Das Außenministerium in Kiew forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Ergebnisse nicht anzuerkennen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach Putin „jede Legitimität“ ab. „Diese Wahlfälschung hat keine Legitimität und kann keine haben“, sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videoansprache. „Diese Figur (Putin) muss auf der Anklagebank in Den Haag landen - dafür müssen wir sorgen, jeder auf der Welt, der das Leben und den Anstand schätzt.“ Wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen in der Ukraine gibt es einen Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag gegen Putin.
„Die für Putin erfundenen Prozentzahlen haben eindeutig nichts mit der Wirklichkeit zu tun“, erklärte der bekannte Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow in einer Reaktion im Onlinedienst Telegram. Wolkow war einer der engsten Vertrauten und unter anderem früherer Stabschef von Nawalny.
Systematischer Betrug
Unabhängige Beobachter wiesen auf systematischen Betrug hin, der hinter diesem hohen Wert für Putin stecke. So wurden seit dem ersten Wahltag am Freitag massenhaft Fälle dokumentiert, in denen etwa Angestellte staatlicher Firmen zur Stimmabgabe gedrängt wurden und teils sogar Beweisfotos von ihrem ausgefüllten Wahlschein machen mussten. Kritiker beklagten zudem, dass insbesondere das Online-Verfahren leicht manipulierbar sei. Beobachter dokumentierten auch das massenhafte Stopfen von vorab ausgefüllten Stimmzetteln in die Urnen.
Neben einem noch brutaleren Vorgehen beim Überfall auf die Ukraine erwarten Experten, dass Repressionen in Russland zunehmen. Schon jetzt gibt es keine Versammlungsfreiheit oder freie Berichterstattung von Medien, Andersdenkenden droht Haft, wenn sie den Krieg oder den Machtapparat kritisieren. Vor allem aber ist die Opposition ausgeschaltet, weil führende Köpfe im Straflager sitzen oder ins Exil ins Ausland geflohen sind. Die Hoffnung auf politischen Wandel in Russland hatte sich zuletzt auch nach dem Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny zerschlagen.
Diese fehlenden Freiheiten in Russland und die Gleichschaltung der vom Kreml gesteuerten Medien gelten als wichtigste Grundlage dafür, dass Putin seine Macht verteidigt. Allerdings erwartet die Politologin Tatjana Stanowaja zunehmende Probleme für den Kreml, die Zügel der Macht fest in der Hand zu behalten. Putins Positionen seien unausgewogen, die Ziele des Krieges unklar; und es gebe spürbare Eingriffe in das Privatleben, schrieb Stanowaja in einer Analyse für die Denkfabrik Carnegie. „All dies wird unweigerlich Druck auf das Regime von innen erzeugen“, meinte sie. „Das bedeutet nicht, dass das Regime zusammenbricht oder dass es zu Massenprotesten kommen wird.“ Doch werde der Einfluss der Eliten wachsen und die Bedeutung Putins abnehmen.
Die von Russlands Machtapparat mit harter Hand organisierte Abstimmung begleiteten Tausende Gegner des Langzeitpräsidenten mit einer bemerkenswerten Protestwelle. Trotz Einschüchterungsversuchen durch Behörden versammelten sich am letzten Wahltag am Sonntag in vielen Städten des Landes mit den elf Zeitzonen Menschen gegen 12.00 Uhr Ortszeit vor ihren jeweiligen Wahllokalen zur Aktion „Mittag gegen Putin„, zu der die Opposition um den vor einem Monat im Straflager gestorbenen Nawalny aufgerufen hatte.
Menschen brachten auch am Sonntag Blumen an das Moskauer Grab Nawalnys, der selbst einmal Präsident werden wollte. In Berlin sorgte Nawalnys Witwe für Aufsehen: Julia Nawalnaja beteiligte sich dort an einem Protest.
Diese stille Form des Widerstands sollte Kreml- und Kriegsgegnern in Russland selbst auf ungefährliche Weise ermöglichen, ihren Unmut kundzutun. Bürgerrechtler berichteten dennoch über Dutzende Festnahmen. Auch in vielen anderen russischen Städten und international nahmen zahlreiche Menschen an den Aktionen teil. Auch in Wien versammelten sich zahlreiche Menschen zum großteils stillen Protest vor der russischen Botschaft.
Unterdessen wurde auch an diesem letzten Abstimmungstag noch einmal deutlich, dass in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht alles so nach Plan läuft, wie der Kreml gerne behauptet. Im Süden Russlands löste eine Drohnenattacke ein Feuer in einer Ölraffinerie aus. Die westrussische Grenzregion Belgorod wurde wie schon in den Vortagen mit Raketen beschossen. Offiziellen Angaben zufolge starb dabei eine 16-jährige Teenagerin.