Selten gehen Reaktionen so diametral auseinander wie am Mittwoch nach der Abstimmung über den Einsatz neuer Gentechnik im EU-Parlament in Straßburg. Die Abgeordneten sprachen sich mit einem Votum von 307 zu 263 Stimmen bei 41 Enthaltungen für den betreffenden Vorschlag aus. Darum geht es: Bisher galten für Pflanzen, die mithilfe neuer genomischer Techniken gewonnen wurden – sogenannte NGT-Pflanzen –, dieselben Regeln wie für alle genetisch veränderten Organismen (GVO). Das EU-Parlament tritt nun dafür ein, zwei verschiedene Kategorien und zwei Regelwerke für NGT-Pflanzen einzuführen. NGT-Pflanzen, die als gleichwertig mit herkömmlichen Pflanzen gelten (Kategorie 1), sollen von den GVO-Vorschriften ausgenommen werden. Für alle anderen NGT-Pflanzen (Kategorie 2) sollen künftig strengere Regeln gelten. Die Abgeordneten sprachen sich auch dafür aus, NGT-Pflanzen in der ökologischen bzw. biologischen Produktion weiterhin zu verbieten. Man müsse erst prüfen, ob sie mit deren Grundsätzen vereinbar sind.
Eine Kennzeichnungspflicht und eine Rückverfolgbarkeit soll es geben. Die Abgeordneten fordern allerdings von der Kommission, sieben Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regeln Bericht darüber zu erstatten, wie sich die Wahrnehmung der Verbraucherschaft sowie der Erzeuger mit Blick auf die neuen Techniken entwickelt hat. Um Anreize für die Nutzung von NGT-Pflanzen der Kategorie 2 zu schaffen, sprachen sich die Abgeordneten dafür aus, das Risikobewertungsverfahren für jene Pflanzen zu beschleunigen, die zu einem nachhaltigeren Agrar- und Lebensmittelsystem beitragen dürften.
Gefordert wird ein vollständiges Verbot von Patenten auf jegliche NGT-Pflanzen, jegliches Pflanzenmaterial und Teile davon sowie auf genetische Informationen und die darin enthaltenen Verfahrensmerkmale. Im Vorfeld war einer der Hauptkritikpunkte die Sorge, dass Patente für die Nahrungsversorgung der gesamten Menschheit letzten Endes in den Händen einiger weniger multinationaler Konzerne landen würden.
Gemischte Reaktionen
Die Reaktionen auf die Abstimmung fielen sehr gegensätzlich aus. „Die neuen Regeln ermöglichen die Entwicklung verbesserter Pflanzensorten, die höhere Erträge liefern, denen bestimmte klimatische Einwirkungen nichts anhaben können oder für die man weniger Düngemittel bzw. Pestizide braucht“, freute sich etwa Berichterstatterin Jessica Polfjärd. Österreichs EU-Abgeordnete lehnten das Vorhaben mehrheitlich ab. Einzig die Neos-Abgeordnete Claudia Gamon stimmte für den Text. Die ÖVP- und FPÖ-Parlamentarier waren mit ihrem „Nein“ zudem klar in der Minderheit in ihren jeweiligen EU-Fraktionen.
„Wir wollen, dass die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) bleibt, und dass Bio-Produkte auch weiterhin frei von genetisch veränderten Organismen bleiben können“, sagte der EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber (ÖVP) noch vor der Abstimmung.
„Durch den heutigen Entschluss machen wir den Weg frei für Gentechnik durch die Hintertür“, kritisierte dann der SPÖ-Mandatar Günther Sidl. „Eine umfassende Risikobewertung der gentechnisch veränderten Lebensmittel und eine Folgenabschätzung für möglicherweise betroffene Ökosysteme, sollen künftig nicht mehr verpflichtend sein.“
Der FPÖ-Abgeordnete Roman Haider kritisierte im Vorfeld der Abstimmung bereits, dass für EU-Staaten wie Österreich nicht die Möglichkeit vorgesehen wäre, weiterhin Gentechnik zu verbieten „Die Bürger haben dann nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich bewusst für ein gentechnikfreies Produkt zu entscheiden“, so Haider in einer Aussendung. Die Grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener sprach nach der Abstimmung von einem „Desaster für Landwirtschaft, Umwelt und Essende“. „Die heutige Abstimmung ist besonders für Konsument:innen und die österreichische gentechnikfreie Landwirtschaft eine schlechte Nachricht“, meinte auch ihr Partei-Kollege Thomas Waitz.
Freude bei der Wissenschaft
Sehr erfreut zeigte sich in einer ersten Reaktion ÖAW-Präsident Heinz Faßmann: „Das ist ein guter Tag für die Forschung, denn sie hat seit Langem darauf gedrängt, die Regeln für die Neue Gentechnik an die neuen Möglichkeiten anzupassen.“ Forschende hätten wiederholt darauf hingewiesen, dass es keinen Hinweis auf negative Auswirkungen der neuen genomischen Verfahren gibt. Faßmann: „Populisten, die fern der wissenschaftlichen Evidenz argumentierten, blieben in der Minderheit.“
Und wie geht es nun weiter? Das Parlament beginnt nun die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten über die endgültige Form des Gesetzes – noch ist also nichts endgültig entschieden.