Er faucht nicht, er speit kein Feuer, und er ist derzeit allgegenwärtig. Der Drache scharrt vor dem chinesischen Neujahrsfest auf allen Plakatwänden, in Supermärkten, im Fernsehen und auch online ungeduldig in den Startlöchern, er übernimmt demnächst im Tierkreiskalender das Staffelholz vom Hasen.

Das Jahr des Drachens? Das hört sich in europäischen Ohren furchterregend an. Der Drache genießt in der Alten Welt nicht gerade den besten Ruf, in westlichen Mythen wird er als eine Art Haustier des Teufels dargestellt, das Jungfrauen entführt und tapfere Ritter verspeist. Gute Taten für die Menschheit? Fehlanzeige. Hand aufs Herz, außer dem freundlichen Drachen Fuchur in der „Unendlichen Geschichte“ oder dem „Kleinen Drachen Kokosnuss“ fällt Europäern wohl nicht viel Positives zum Thema Drache ein.

Ganz anders in China. Hier ist der Drache ein freundlicher Genosse, mit dem man nicht gerade auf ein Bier gehen würde, aber der doch willkommen geheißen wird, sollte er mal ums Haus streifen. Der chinesische Drache bringt Glück, Wohlstand und Frieden. Ein ganz ein Lieber also.

Drachen lassen es krachen
Drachen lassen es krachen © AFP / Pedro Pardo

Er sieht auch anders aus als sein feuerspeiender Kollege im europäischen Mittelalter. Chinas Drache hat den Ochsenkopf, ein kleines Geweih, jedoch keine Flügel, den Körper einer Schlange, den aber mit Fischschuppen. Und vor allem speit er kein Feuer, im Gegenteil, er versorgt die Bauern mit ausreichend Wasser. Das ist auch der Grund dafür, dass er nur das fünfte Tier im chinesischen Tierkreiszeichen ist. Den Tieren wurde in der Reihenfolge ihres Eintreffens bei einem großen Fest jeweils ein Jahr zugeteilt. Die Ratte war die erste, dann kamen Ochse, Tiger und Hase. Der Drache trudelte nur als Fünfter ein, weil er auf dem Weg zur Tierkreisvergabe noch schnell ein Dorf mit seinen Regenkünsten vor einer Dürre retten musste.

Die Chinesen bezeichnen sich als Abkömmlinge des Drachens, ihr Kaiser saß einst auf dem Drachenthron. In die Halle zur höchsten Harmonie in der Verbotenen Stadt wurden 14.986 Drachen eingemeißelt, ein wahres Drachennest also. Der Drache soll auch eine Verbindung zwischen Himmel und Erde herstellen, was auch heute noch geschieht. Als Neujahrsmaskottchen flog er jüngst mit einem Versorgungsmodul zu den drei Taikonauten in die chinesische Raumstation.

Guter Drache, böser Drache – chinesische Experten beklagen das unterschiedliche Image des Drachens in Ost und West und suchen erfolglos nach einer neuen Übersetzung für „Long“, das chinesische Wort für Drache. Es gibt sogar Mutmaßungen, dass die missverständliche Übersetzung die Hauptursache dafür sei, dass Ost und West einander immer weniger verstehen.

Die Chinesen haben jetzt aber andere Sorgen. Kinderkriegen zum Beispiel. Im Jahr des Drachens geboren zu werden, zählt in China als etwas Besonderes, Drachengeborene gelten als Glückskinder. Vielleicht gibt das der lahmen Geburtenstatistik einen neuen Kick. Sollte das tatsächlich funktionieren, dann ist der der Drache gar kein Drache – sondern der Storch!