Begleitet von ukrainischer Heavy-Metal-Musik verschafft sich die kleine Drohne zunächst einen Überblick. Ein paar Mal fliegt sie mit großem Abstand die matschige Straße entlang, die Kameraperspektive wechselt immer wieder zwischen der Totalen und dem Vergrößerungsmodus hin und her. Dann beginnt die Jagd. Der ein paar Kilometer entfernt sitzende Pilot steuert sein Fluggerät auf den russischen BMP-2 zu, den er am Rande einer langen Baumreihe ausfindig gemacht hat, mit jeder Sekunde kommt es dem Schützenpanzer näher und näher. Kurz darauf schlägt die mit Sprengstoff bestückte Drohne am Heck ein, die Bilder des brennenden Panzers, die von einer zweiten Drohne geliefert werden, zeigen, dass der Angriff erfolgreich war.

In den sozialen Medien laden Soldaten Tag für Tag neue Videos von solche Attacken hoch. Sie sollen zeigen, dass die ukrainische Armee Russlands gigantischem Arsenal an Sowjet-Waffen mit innovativen Ideen Paroli bieten kann, die sich nicht nur rasch umsetzen lassen, sondern auch kaum Geld kosten. So bekommt man sogenannte FPV-Drohnen, die eine Steuerung aus der Perspektive des Piloten erlauben, für ein paar Hundert Euro im Online-Handel, ein russischer Kampfpanzer wie der T-72 kommt dagegen auf mehrere Millionen Euro.

Die vielen Videos mit erfolgreichen ukrainischen Drohnenangriffen geben allerdings kein adäquates Bild der Lage an der Front wider. Denn knapp zwei Jahre nach dem Überfall dominiert die russische Armee mittlerweile das Schlachtfeld im elektronischen Raum und ist in der Lage, feindliche Drohnenflüge im großen Stil zu unterbinden. Die mit elektromagnetischen Wellen und Funksignalen geführten Störmanöver der Russen würden wie „unsichtbare Scheren“ wirken, die die Verbindung zu den ferngesteuerten Geräte trennen, erzählt Mykola Kolesnyk, Kommandant einer ukrainischen Drohneneinheit, der „Financial Times“.

„Russen fähiger als erwartet“

Russland kann in der elektronischen Kriegsführung auf jahrzehntelanges Know-how bauen. Und anders als in vielen anderen Bereichen der russischen Rüstungsindustrie wurde in diesen Sektor in den vergangenen Jahren auch viel Geld investiert. „Die Russen haben sich hier als fähiger erwiesen, als man das angesichts ihrer Bodenoperationen erwarten konnte“, sagt der US-Militäranalyst James A. Lewis gegenüber der „New York Times“.

Umgekehrt verfügt die Ukraine kaum über hinreichende Kapazitäten im Bereich der elektronischen Kriegsführung. In den vergangenen Monaten wurden russische FPV-Drohnen, die in immer größerer Stückzahl an den Frontlinien auftauchen, daher zunehmend zum Alptraum für die ukrainischen Truppen. Soldaten berichten davon, dass sie wie von Moskitoschwärmen angegriffen werden, die Drohnen, die der russischen Artillerie bei der Erfassung ihrer Ziele helfen, fliegen so gut wie unbehelligt über dem Schlachtfeld.