Die Panzer haben ihre Kanonenrohre auf den Strand gerichtet, aber Schüsse werden sie keine mehr abfeuern. Bei genauerer Betrachtung sieht man Rost auf diesen Kriegsgeräten, sie dürften schon vor vielen Jahren ausgedient haben. Aber zur Warnung dienen sie allemal, die alten Panzer auf Kinmen. Die Kinmen-Inseln sind sechs Kilometer vom chinesischen Festland entfernt, ein geübter Schwimmer könnte hinüberschwimmen ans andere Ufer, hinüber in die kommunistische Volksrepublik China.

Kinmen aber ist taiwanesisches Hoheitsgebiet, obwohl die Insel Taiwan mit der Hauptstadt Taipeh fast 200 Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Meeresstraße liegt. Strom und Trinkwasser bezieht Kinmen aus der benachbarten Volksrepublik, etwa 140.000 Menschen leben hier.

„Wir sind doch alle Chinesen“

„Hier wäre sicher die erste Frontlinie in einem Krieg mit China“, sagt der taiwanesische Militärexperte Hong Ning-de, „daher sind hier auch viele taiwanesische Soldaten stationiert. Aber die Bevölkerung von Kinmen denkt nicht, dass es Krieg geben wird, weil doch alle Chinesen sind.“

Kinmen-Inseln | Ob der Abwehrversuch gegen Landungstruppen reichen würde?
Kinmen-Inseln
| Ob der Abwehrversuch gegen Landungstruppen reichen würde? © KLZ/Josef Dollinger

Chinese oder Taiwanese? Auf diese Frage haben die Menschen hier meist eine klare Antwort. Sie fühlen sich als Chinesen und nicht als Taiwanesen, aber leben wollen sie in einem demokratischen China. So auch Frau Ye: „Ich bin hier einheimisch, aber China ist genauso wie wir, die gleiche Abstammung, eine Familie. Wir fahren alle oft hinüber aufs Festland und gehen dort gut essen.“

Frau Ye besitzt ein kleines Geschäft im Hauptort Jincheng, sie wartet auf chinesische Touristen vom Festland, doch die bekommen derzeit kein Visum für Taiwan. Umsatz bringen aber die Besucher von der Hauptinsel Taiwan, auch wenn sie anderer Ansicht sind, was die Identität betrifft. „Sogar in der gesprochenen Sprache gibt es große Unterschiede“, sagt der taiwanesische Tourist Li Chenyang, „Wir sind souverän.“

Bei Wahlen kann die nationalistische „Kuomintang“-Partei auf Kinmen mit einer deutlichen Mehrheit rechnen, die KMT stellt auch die einzige Abgeordnete Kinmens im nationalen Parlament. Die regierende Demokratische Fortschrittspartei kommt hier weniger gut an, sie provoziere China zum Krieg, hört man hier immer wieder (siehe unten).

Der kalte Hauch des Kriegs

Die exponierte Lage Kinmens ist dem Frontverlauf des Bürgerkrieges vor mehr als 70 Jahren geschuldet. Bei der Flucht der unterlegenen Nationalisten nach Taiwan diente Kinmen als Brückenkopf bei der Evakuierung. Den Kommunisten gelang es aber nie, die Insel zu erobern. 1950 landeten zwar chinesische Truppen auf Kinmen, doch in einer blutigen Schlacht konnten die Nationalisten die feindlichen Landungstruppen besiegen. Seither macht der Krieg hier Pause, aber seinen kalten Hauch spürt man noch immer auf der Insel.

Blick auf das chinesische Festland | Blick auf das chinesische Festland
Blick auf das chinesische Festland
| Blick auf das chinesische Festland © KLZ/Josef Dollinger

Im Hujingtou-Kriegsmuseum auf Klein-Kinmen werden die Helden von 27. Juli 1950 gefeiert, die die chinesischen Invasoren damals zurückgeschlagen haben. Es war die letzte blutige Schlacht des chinesischen Bürgerkrieges, der formal nie beendet wurde. Nicht nur im Museum, auch im Ortszentrum von Jincheng sieht man Reste dieser Abwehrschlacht. Aus alten Granatenhülsen werden dort Küchenmesser geschmiedet – ein Verkaufshit bei Touristen.

Das Wrack eines Panzers

„Wir Menschen in Kinmen sind geschäftstüchtig“, sagt Taxifahrerin Zheng auf dem Weg zurück über eine sechs Kilometer lange Brücke nach Jincheng. Die Brücke verbindet die Hauptinsel Kinmen mit Klein-Kinmen. Auf einer weiteren Brücke ähnlicher Größe könnte man aufs Festland hinüberfahren. Zum Geschäfte machen. Aber diese Brücke wird wohl nie gebaut werden, zu einfach wäre dann die Überfahrt auch für chinesische Panzer.

Kinmen-Inseln | Man versucht, die Lage gelassen zu sehen. Viele hier fühlen sich ohnehin auch als Chinesen
Kinmen-Inseln
| Man versucht, die Lage gelassen zu sehen. Viele hier fühlen sich ohnehin auch als Chinesen © KLZ/Josef Dollinger

Die Fahrt mit dem Taxi kann man bei Frau Zheng mit WeChat bezahlen, einem chinesischen Anbieter, der in Taiwan eigentlich gesperrt ist. Wie ist das möglich? „Ich habe ein Bankkonto drüben“, sagt die Taxifahrerin Zheng und deutet auf das andere Ufer Richtung Festland.