Israelische Soldaten haben am Freitag irrtümlich drei Geiseln getötet, die von der Terrororganisation Hamas in den Gazastreifen verschleppt worden waren. Während eines Gefechts in der Hamas-Hochburg Shejaiya seien die drei Geiseln „versehentlich als Bedrohung wahrgenommen“ worden, weswegen die Soldaten auf sie gefeuert und sie dabei getötet hätten, teilte die Armee am Freitagabend auf X (vormals Twitter) mit. Es sei umgehend eine Untersuchung eingeleitet worden. Laut ORF-Korrespondent Tim Cupal dürfte es den Geiseln kurz vorher gelungen sein, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Möglich ist, dass sie geflohen sind oder freigelassen wurden.

Die Leichen seien nach Israel gebracht und dort identifiziert worden. „Die Armee bereut den tragischen Vorfall zutiefst und übermittelt den Familien ihre tief empfundene Anteilnahme“, hieß es in der Armee-Erklärung weiter. „Unsere nationale Aufgabe ist es, die Vermissten aufzuspüren und alle Geiseln wieder nach Hause zu bringen.“

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bezeichnete den Tod der drei Geisel als „unerträgliche Tragödie“. „Der gesamte Staat Israel trauert heute Abend. Mein Herz ist bei den trauernden Familien in der schweren Zeit ihres Kummers“, schrieb der israelische Regierungschef am Freitagabend in den sozialen Medien. Er sprach den Familien sein Beileid aus. „Selbst an diesem schwierigen Abend werden wir uns um unsere Wunden kümmern, die Lektionen lernen und mit größter Anstrengung weitermachen, um alle unsere Geiseln sicher nach Hause zu bringen“, sagte Netanyahu.

Die israelische Regierung steht seit Wochen unter massivem innenpolitischen Druck von Angehörigen der Verschleppten, die einen Stopp der Militäraktion fordern. Unter der Vermittlung des Emirates Katar waren Ende November mehrere Dutzend Geiseln freigekommen, im Austausch für palästinensische Gefangene. Unter ihnen waren auch die Frau und die Kinder des israelisch-österreichischen Doppelstaatsbürgers Tal Shoham, der sich offenbar immer noch in der Gewalt der Terroristen befindet. Nachdem eine Vereinbarung über eine Verlängerung des Deals scheiterte, nahm Israel seine Militäraktion zur Vernichtung der Terrororganisation Hamas wieder auf.

Zwei der getöteten Geiseln wurden als Yotam Haim und Samer Talalka identifiziert. Der Name des dritten Getöteten wurde auf Wunsch der Familie nicht bekannt gegeben. Der Vorfall habe sich in einem „aktiven Kampfgebiet“ ereignet, so die Armee. Man habe auch schon erste Lehren aus dem Vorfall gezogen und diese den im Gazastreifen operierenden Truppen übermittelt.
Die US-Regierung bezeichnete den Tod der drei Geiseln als „herzzerreißend“ und „tragisch“ bezeichnet. „Natürlich ist dies kein Ergebnis, das sich irgendjemand gewünscht hat“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Freitag. Er gehe davon aus, dass die Israelis sich den Vorfall genau ansehen würden, um herauszufinden, wie es dazu kommen konnte. Der Fall eigne sich aber nicht, um ein allgemeines Urteil darüber zu fällen, ob das israelische Militär in der Lage sei, im Gazastreifen präzise vorzugehen, sagte Kirby weiter.

Unterdessen berichtete der Nachrichtensender Al Jazeera, dass einer seiner Kameraleute im südlichen Gazastreifen getötet wurde. Der Video-Journalist Samer Abu Dakka wurde zusammen mit einem Kollegen verletzt, als er über den Beschuss einer Schule berichtete, teilte der Sender am Freitagabend mit. Die Rettungskräfte konnten aber nicht rechtzeitig zu ihm vordringen, um ihn zu behandeln. Ihnen sei es gerade noch gelungen, seine Leiche zu bergen. Die Journalisten seien von einer Rakete getroffen worden, die von einer Drohne in der Stadt Khan Younis im südlichen Gazastreifen abgefeuert wurde.

Israel entgegnet internationaler Kritik

Israel hatte seine Militäroffensive im Gazastreifen am Freitag trotz internationaler Rufe zur Zurückhaltung fortgesetzt. Im Norden des Gebiets stiegen Rauchwolken auf, in Khan Younis im Süden gab es nach Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums „Dutzende Getötete und Verletzte“. Der israelische Militärsprecher Daniel Hagari sagte, Truppen seien am Donnerstagabend in Kämpfe mit Militanten in zwei Distrikten der Stadt Gaza verwickelt gewesen. Es werde in den kommenden Tagen „noch mehr harte Schlachten“ geben.

Israel schien zugleich bemüht, der internationalen Kritik an seinem Vorgehen durch eine humanitäre Hilfsaktion die Spitze zu nehmen. Wie das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Freitag mitteilte, wurde der Grenzübergang Kerem Shalom für Hilfslieferungen geöffnet. Damit komme das Land der im Geisel-Deal vereinbarten Verpflichtung nach, täglich 200 Lastwagen mit Hilfsgütern in den dicht besiedelten Küstenstreifen fahren zu lassen. Bisher waren Hilfsgüter nur über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in das Gebiet gelangt.

Nach eigener Darstellung zerstörte die israelische Armee das Kommando- und Kontrollzentrum eines wichtigen Hamas-Bataillons. Soldaten töteten bei dem Einsatz in der Hamas-Hochburg Shejaiya auch Terroristen, wie das Militär am Freitag mitteilte. Auch ein Tunnelkomplex sei zerstört worden. Nach Angaben eines Sprechers tötet Israels Armee Hamas-Terroristen in den Tunneln unter dem Gazastreifen nun gezielt mit Sprengstoff. „Wir haben neue Kampfmethoden, die wir einsetzen werden, um Terroristen zu töten

Auslöser des Krieges war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Mehr als 1.200 Menschen wurden dabei getötet und rund 240 Geiseln nach Gaza verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und begann Ende Oktober mit einer Bodenoffensive. Nach Angaben der von der Hamas wurden bisher rund 18.000 Menschen bei Angriffen im Gazastreifen getötet.