Nicht nur Bundeskanzler Olaf Scholz will beim Besuch von Recep Tayyip Erdogan Klartext reden – auch der türkische Präsident hat das vor. Er werde in Berlin einiges richtigstellen, kündigte Erdogan mit Blick auf die deutsche Haltung zur Hamas an. Der Westen wolle, dass die Türkei die Palästinensergruppe als Terrororganisation einstufe, doch das werde er nicht mitmachen. Experten erwarten deshalb eine „konfrontative Begegnung“. Beide Seiten wollen aber verhindern, dass der Streit über den Gaza-Krieg die deutsch-türkischen Beziehungen in eine neue Krise stürzt. Die Türkei schickt deshalb vor dem Erdogan-Besuch auch ein versöhnliches Signal an den Westen.

Erdogan hat die westlichen Partner mit seiner Parteinahme für die Hamas im Krieg gegen Israel verärgert und setzt seine scharfe Kritik an Israel auch vor seiner Reise nach Deutschland fort. Der türkische Staatschef wirft Israel vor, in Gaza einen „Völkermord“ zu begehen, wie er jetzt sagte. Israel sei ein „Terrorstaat“. Die Hamas, die bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober mehr als tausend Menschen tötete, ist für Erdogan dagegen „eine politische Partei, die eine Wahl gewonnen hat“, wie er über den Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 sagte.

Erdogans Regierung hat enge Kontakte zur Hamas-Führung, deren Mitglieder eine Zeitlang in der Türkei lebten. Die EU und Israel seien in ihrer Einschätzung der Hamas einig, sagte Erdogan jetzt. „Aber wir denken nicht wie sie“, fügte er hinzu. „Nein, Freunde, das ist keine Terrororganisation.“

„Hassprediger“

Scholz weist solche Äußerungen des türkischen Staatschefs als „absurd“ zurück; in den deutschen Medien wird Erdogan als „Hassprediger“ bezeichnet: Erdogans erste Visite in Deutschland seit drei Jahren ist wegen des Streits um den Gaza-Konflikt noch heikler als vergangene Besuche, bei denen es häufig Krach gab. „Erdogan stellt sich schon im Vorhinein gegen die Position Deutschlands“ zugunsten Israels, sagt Hüseyin Cicek von der Universität Wien. „Allein hier schon gibt es eine Spannung und eine Konfrontation.“

Einen gemeinsamen Nenner werden Scholz und Erdogan in Berlin kaum finden können. Erdogan werde bei dem Besuch auch auf die türkische Wählerschaft im Ausland blicken, nicht nur in Deutschland, sagte Cicek unserer Zeitung. Der türkische Präsident wolle türkisch-islamischen Verbänden, die ihm gegenüber loyal seien, den Rücken stärken. „Das könnte zu weiteren Spannungen führen.“