Bundeskanzler Olaf Scholz erreichte die Nachricht auf dem Weg von Israel nach Ägypten. „Es ist ganz klar, dass wir niemals hinnehmen werden, wenn gegen jüdische Einrichtungen Anschläge verübt werden“, sagte Scholz in Kairo. In Berlin waren zuvor zwei Brandsätze gegen eine Synagoge am Prenzlauer Berg geschleudert worden. Die Molotowcocktails zerschellten auf der Straße vor dem Gebetshaus. Aber der Schock sitzt tief. Er sei persönlich empört über den Anschlag und die antisemitischen Parolen, sagte Scholz und stellte klar: „Und das ist eine Haltung, von der ich überzeugt bin, dass ich mir da einig bin mit den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands.“

Die beiden Angreifer konnten entkommen. Ihre Identität ist unklar. Doch wird in Deutschland eine steigende Zahl von antisemitischen Übergriffen registriert. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) zählte allein in der Woche nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel 202 antisemitische Zwischenfälle – mehr als 240 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. In Kassel wurde eine Solidaritätskundgebung für Israel mit Allah-Zwischenrufen gestört und dem Hinweis, eine Terrorattacke wie in Israel könne bald auch in Deutschland geschehen. In Bremen fand sich neben einem „Free Gaza“-Graffiti der Schriftzug „Für jeden Zionisten 1 Kugel“.

„Brauchen schonungslose Selbstreflexion“

Bis zu 300 islamistische Gefährder registrieren die deutschen Sicherheitsbehörden, ein Drittel davon ohne deutschen Pass. Schon fordert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine schnellere Abschiebung. Vor vorschnellen Schlüssen warnte Lamya Kaddor, Grünen-Abgeordnete und Islamwissenschaftlerin, und wies auf die verschiedenen Varianten des Antisemitismus hin. „Wir brauchen eine schonungslose Selbstreflexion“, mahnte die Politikerin. Denn auch klassische antisemitische Stereotype blühen wieder auf. TV-Philosoph Richard David Precht sinnierte in seinem ZDF-Podcast mit Moderator Markus Lanz über orthodoxe Juden, denen jede Tätigkeit verwehrt sei – bis auf Diamantenhandel und Geldverleih. Nicht nur die aus einer jüdischen Familie stammende CDU-Politikerin Karin Prien war empört. Das ZDF schnitt die stereotype Einlassung einfach aus der Sendung, Precht entschuldigte sich später. Wenn es nur so einfach wäre mit der Geschichte und den alten Stereotypen. Nicht nur Deutschland droht eine neue gesellschaftliche Auseinandersetzung. Nicht nur mit israelbezogenem Antisemitismus.