Susanne Raab spaziert durchs Ghetto von Kopenhagen und staunt. Darüber, wie innerhalb von wenigen Jahren ein Stadtteil komplett verändert wird. Wie die Stadtverwaltung hier auf Geheiß der Bundesregierung agiert. Vor allem aber staunt sie über den politischen Konsens, der möglich macht, was hier und in anderen dänischen Städten gerade passiert: Dass ganze Stadtteile per Bundesgesetz als "Ghetto" oder, seit die Sozialdemokraten regieren, als "Parallelgesellschaft" definiert werden, weil ihre Bevölkerung bestimmte Kriterien erfüllt. Dass diese Gegenden radikal verändert werden, in dem Bewohner umgesiedelt, die Häuser umgebaut oder abgerissen werden.

"Während hier daran gearbeitet wird, Parallelgesellschaften aufzulösen, wird bei uns drüber diskutiert, ob wir überhaupt welche haben", sagt Raab. Bei ihrem zweitägigen Besuch in Kopenhagen trifft sie ihre Amtskollegen. Ob ihres großen Ressorts sind das gleich drei: Der Integrationsminister, die Gleichstellungsministerin und der Medienminister. Nach den umstrittenen Entscheidungen von ORF-Gesetz bis Einstellung der Wiener Zeitung ist die Reise nach Dänemark eine willkommene Abwechslung. Und erlaubt der 39-Jährigen, die für die ÖVP nicht nur Integrations-, Frauen-, Familien-, sondern seit einem guten Jahr auch Medienministerin ist, den Fokus zu legen auf die Fragen, die ihr am wichtigsten ist: Wie lässt sich bewerkstelligen, dass weniger Menschen aus dem Ausland nach Österreich kommen und die, die da sind, besser integriert werden?

Im Auftrag von ÖVP-Chef Karl Nehammer, wie sie betont, sucht Raab nach Wegen, wie Sozialhilfeempfänger erst nach einer gewissen Zeit im Land die volle Höhe bekommen sollen. Und sie will Parallelgesellschaften in Österreich zerschlagen.

Im Auftrag des Bundeskanzlers

Deshalb spaziert sie an einem regnerischen Frühlingstag durch das dänische Mjølnerparken. Das Kopenhagener Viertel ist laut der offiziellen Liste eine von zehn ausgewiesenen Parallelgesellschaften in Dänemark. In den 80er Jahren wurden der Wohnblock auf Brachland gebaut: 16 vierstöckige Wohnhäuser mit kleinen Fenstern, darin 550 idente 3-Zimmer-Wohnungen, die oft viel zu klein waren für die Familien, die darin wohnten. In den Sozialwohnungen wohnten arme Menschen, immer mehr „nicht-westliche Ausländer.“ Kriminalitäts- und Arbeitslosenrate lagen weit über dem dänischen Durchschnitt, das Einkommen und die Schulbildung darunter. In den miteinander verbundenen Kellern verschanzte sich die kriminelle Unterwelt vor der Polizei, die zuletzt nur mehr schwer bewaffnet nach Mjølnerparken kam. Eine Umstrukturierung stand lange an. Dann trat das berüchtigte Ghetto-Gesetz in Kraft.

In den 80er Jahren wurde Mjølnerparken als in sich geschlossene Wohnanlage gebaut. Jetzt wird es komplett umgestaltet.
In den 80er Jahren wurde Mjølnerparken als in sich geschlossene Wohnanlage gebaut. Jetzt wird es komplett umgestaltet. © TV2

"Wir haben schon lange gewusst, dass Sozialarbeit und Polizeipräsenz alleine nicht ausreichen wird, um Mjølnerparken sicherer zu machen", sagt Rune Lyngvig Jespersen, der in der Kopenhagener Stadtverwaltung die Transformation betreut. "Das Ghetto-Gesetz ist sehr umstritten. Aber es hat den nötigen Druck gemacht, dass endlich was geschieht.“

Seither mussten 60 Prozent der Bewohner von Mjølnerparken wegziehen. Sie bekamen eine andere Wohnung in einer anderen Gegend zugeteilt und 5000 Euro, um neue Einrichtung zu kaufen. Die Kritik war groß, es gab Bürgerinitiativen, Klagen. Aber auch Applaus von vielen Dänen, denen es gefiel, dass die Regierung hart durchgriff.  

Umstrittenes Gesetz

"Es gibt kaum gravierenderes, als wenn Menschen aus ihrem Zuhause gerissen werden", sagt Jespersen. Anders, als in anderen Städten, werden in den Kopenhagener Ghettos deshalb aus Prinzip keine Häuser abgerissen: „Niemand soll mitansehen müssen, wie das Haus, in dem man aufgewachsen ist, niedergerissen wird.“ Stattdessen werden die Häuser nun umgebaut. In moderne Wohnungen für Singles oder Familien, in Studentenwohnhäuser, schicke Penthäuser. Es werden Straßenläufe verändert, Geschäftslokale geplant, Spielplätze gebaut. So soll Mjølnerparken eine attraktive Wohngegend werden für Menschen aus anderen Milieus.

© (c) Alexander Zillbauer

Wann war das Momentum, will Raab wissen. Wann war die Bevölkerung bereit, harte Maßnahmen wie Zwangsumsiedelungen mitzutragen? Der Täter der beiden islamistischen Anschläge im Jahr 2015 stammte aus Mjølnerparken, erzählt Steffen Jageson von jener Firma, die den Umbau abwickelt. Das habe geholfen. Auch in Wien, erzählt Raab, gäbe es rivalisierende Gangs. Sie erzählt von gewalttätigen Ausschreitungen, von Massenschlägereien. Trotzdem würden viele die Augen vor den Problemen verschließen, meint Raab.

Unumstritten ist das Ghetto-Gesetz in Dänemark aber immer noch nicht. Erstmals ist Herkunft als Stigma in einem Gesetz festgeschrieben. „Es markiert alle Bewohner eines Gebietes, eine große, inhomogene Gruppe als Problem für die Gesellschaft“, sagt Jespersen.

Bei der Argumentation helfen den Dänen Daten. So habe man erhoben, was der Grund sei, dass Leute umziehen. Während meistens persönliche Gründe - ein weiteres Kind, ein neuer Job oder eine Scheidung - angegeben wurden, sagten Bewohner aus definierten Problembezirken besonders häufig, sie fühlten sich in ihrer Gegend nicht mehr sicher.

Vorbild für Österreich

Auch Raab sammelt Daten und Argumente. Zuletzt einen umfangreichen Bericht ausarbeiten lassen, der Parallelgesellschaften in Österreich thematisiert. Er kombiniert zehn Kriterien für Segregation, die sich teils mit jenen des dänischen Ghettogesetzes überschneiden, mit statistischen Erhebungen in ausländischen Communities und einer großen Umfrage unter Multiplikatoren. So wurden auch in Österreich Regionen definiert, die als gefährdet gelten. Öffentlich will Raab diese Hotspots noch nicht machen. Zunächst wurden die Verwaltungsbehörden vom Integrationsministerium kontaktiert. In einem nächsten Schritt könnte aber wohl auch in Österreich eine "Ghettoliste" veröffentlicht werden.