Wie groß ist eigentlich noch der Zusammenhalt in der Wiener Stadtregierung? Die jüngsten Vorgänge – Stichwort Bundesgärten – gaben jedenfalls Anlass zu heftigen Spekulationen über die Zukunftsfähigkeit des rot-grünen Stadtbündnisses. Vor allem SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig machte bei öffentlichen Auftritten zuletzt keinen Hehl aus seinem Ärger über den grünen Koalitionspartner und Vize-Bürgermeisterin Birgit Hebein.
So mancher politische Beobachter traut sich daher nicht mehr, auf eine Fortsetzung der rot-grünen Zusammenarbeit zu wetten. Werden sie nach dem derzeitigen Klima in der Koalition gefragt, sind von beiden Seiten nur Stehsätze zu hören. Laut Hebein sei man gemeinsam auf einem guten Weg. Die präsentierten Maßnahmen würden zeigen, dass man viel voranbringe, meinte Ludwig gestern trocken. Während aufseiten der Regierung Risse erkennbar sind, kam es unterdessen zwischen den Oppositionsparteien am Mittwoch zu einem ungewöhnlichen Schulterschluss.
In einer gemeinsamen Aussendung kritisieren FPÖ, ÖVP und Neos fehlende Transparenz und Kontrollmöglichkeiten bei den getroffenen Maßnahmen scharf. “Wir alle teilen die Wahrnehmung, dass diese Maßnahmen der letzten Wochen ohne jede Einbindung der Opposition getroffen worden sind”, erklärt ÖVP-Stadtrat Markus Wölbitsch im Gespräch mit Wien.memo die blau-schwarz-pinke Zusammenarbeit. Zwar handle es sich dabei durchaus um wichtige und richtige Aktionen, wie diese im Detail ablaufen, bleibe aber völlig unklar: “Es muss klare Regelungen dafür geben, wie Gelder, die derzeit zur Bekämpfung der Corona-Krise in die Hand genommen werden, verwendet werden. Damit sollen schließlich hinterrücks keine auftauchenden Budgetlöcher gestopft werden.”
Die Stadtregierung begründet die fehlende Einbindung der Opposition damit, dass zur Bekämpfung der Krise schnell gehandelt werden müsse. Für Wölbitsch eine nur bedingt nachvollziehbare Argumentation. Vor der letzten Stadtsenats-Sitzung seien etwa Akten, die man den Stadträten aufgrund ihres Vorlaufs wesentlich früher hätte zuschicken können, nicht einmal einen Tag vor der Sitzung übermittelt worden.
Gar keine Informationen gebe es etwa zur Anfang April angekündigten “Stolz auf Wien Beteiligungs GmbH”. Über diese Gesellschaft will sich die Stadt mit insgesamt 50 Millionen Euro temporär an Unternehmen beteiligen, deren Existenz aufgrund der aktuellen Krise gefährdet ist. “Ich kenne dazu noch kein einziges Schriftstück, wir haben dazu in Sitzungen oder Ausschüssen noch nichts erhalten. Stattdessen erfahren wir ständig aus den Medien, was diese GmbH können und tun soll”, kritisiert Wölbitsch.
Besonders bedenklich sei zudem, dass die Abwicklung über die umfangreich gestaltete Wien Holding erfolgt, “die dadurch mit noch mehr Geld ausgestattet wird”. FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp ortet gar die Gefahr, dass “die SPÖ die Krisensituation ausnützen und sich durch Beteiligungen einige Unternehmen unter den Nagel reißen möchte”. “Aber das sind alles Mutmaßungen, weil wir kein Konzept kennen und daher skeptisch sind”, so Wölbitsch.
“Beispiele wie der seltsame Beteiligungsfonds der Wien Holding zeigen, dass es in Wien sehr viel Aufklärungsbedarf gibt”, ist für Neos-Klubchef Christoph Wiederkehr klar. Der Wiener Wahlkampf ist jedenfalls eröffnet. Zumindest der Wahltermin steht seit gestern mit dem 11. Oktober endgültig fest. Gerade die ÖVP macht sich durch Rückenwind auf Bundesebene große Hoffnungen auf Zuwächse, im Kampf um Wählerstimmen sei derzeit aber besondere Vorsicht geboten, meint Wölbitsch: “Ich glaube, dass die Bevölkerung im Moment noch keine allzu große Lust nach Wahlkampf verspürt, sondern die Erwartungshaltung hat, dass die Krise gut gemanagt wird.” Wie Stimmenfang bei möglicherweise noch geltenden Beschränkungen im öffentlichen Raum funktionieren kann? “Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Aber der Wahlkampf im digitalen Raum wird eine noch wesentlich wichtigere Rolle spielen als bisher.”
Andreas Terler